Feminis:muss: Vergesst ihre Geschichten nicht!
Romane und Geschichten werden unterschätzt! Ein Plädoyer für die Gleichberechtigung des Romans in der Hierarchie feministischer Literatur – gerade in männlich geführten Regalen.
von Moritz Müllender
Es gibt mittlerweile eine unendliche Anzahl an Sachbüchern, die Feminist*innen gelesen haben wollen und die besonders für jeder Mann Pflichtlektüre sein sollten. Autor*innen, wie Margarete Stokowski, Sophie Passmann und Liv Strömquist könnten da in den Sinn kommen. Wer sich als intersektional versteht, kommt auch an Natasha A. Kelly, Angela Davis, Audre Lorde und bell hooks nicht vorbei. Eine Auflistung an weiteren lesenswerten Schreibenden würde immer unvollständig bleiben. In Zeiten von digitalen Notizapps verliert mensch da schnell den Überblick wie viele Bücher noch gelesen werden wollen, sollen und müssen. Auch meine persönliche Leseliste wächst beinahe wöchentlich – schneller, als ich überhaupt lesen könnte. Wir lieben sie unsere Sachbücher – vor allem in unserer Studi Bubble.
Ich erinnere mich an eine Stelle im »tupodcast« der Antirassismustrainerin und Autorin Tupoka Ogette, an der sie von einem Typus Mann berichtete, den sie auf ihren Workshops häufig antreffe. Er habe sich ins Thema eingelesen, kenne sich aus und könne Theorien aus dem FF herunterbeten. Nur haperte es bei der Umsetzung, beim Umdenken, an der emotionalen Durchdringung des Themas. Diese Männer gibt es auch, wenn es um das Thema Feminismus geht. Ich weiß es, denn ich bin einer von ihnen. Es handelt sich um eine besondere Spezies eines sich als feministisch verstehenden Typus Mann, der sich gerne mit Buchtiteln oder Autor*innen übertrumpft und sich mit ihnen schmückt, wie der Boomer mit dem SUV (so, wie ich es im ersten Abschnitt getan habe). Es ist nun mal auch verlockend bei einer Pulle Bier und Selbstgedrehter mit Angela Davis Zitaten anzugeben. Willkommen zurück im Patriarchat. Ja, wir müssen die Theorien lesen und aufhören damit anzugeben. Wir dürfen dabei aber die Geschichten nicht vergessen!
Romane haben einen schlechten Ruf in einer intellektuellen, sich als politisch verstehenden Szene – oft zurecht. Viele Klassiker strotzen nur so vor Sexismus und Rassismus und auch moderne Autor*innen bedienen sich viel zu oft überholten Genderrollen, stereotypen Darstellungen und Identitätsmonokulturen. Doch es gibt sie und es werden immer mehr – die Romane von queerfeministischen und intersektionalen Autor*innen. Ihre Werke verdienen mindestens genau so viel Platz in unseren Bücherregalen und auf unseren digitalen Wunschzetteln, wie ihre mehr nach Sturz des Patriarchats anmutenden Theorieschwestern.
Geschichten verändern und bewegen uns, anders als Sachbücher das je könnten. Sie können uns Identitäten und Lebensrealitäten näher bringen und uns helfen sie zu verstehen – niederschwelliger, selbstverständlicher und nachvollziehbarer. Ein Roman muss nicht erklären oder beweisen, warum es Trans*Personen gibt. Er muss weißen Personen nicht vorkauen auf welche Arten strukturelle Unterdrückungssysteme spezifisch Schwarze Frauen diskriminieren oder wie non-binäre Menschen mit neu-entwickelten Pronomen angesprochen werden können – die auch noch überraschend leicht von der Zunge gehen. Im belletristischen Paradies passiert all das emotional nachvollziehbar. Der Roman muss die Tatsachen nicht begründen, die er abbildet. Wie von Zauber*innenhand wachsen uns die Protagonist*innen mit jeder literarischen Meile in unserer Fantasie mehr ans Herz und kommen uns damit auch in ihren Lebensrealitäten näher.
Theoriekonstrukte und Erklärbücher schärfen unser Verständnis. Geschichten ergänzen sie, indem sie uns mitfühlen lassen und Solidarität selbstverständlicher machen – weil wir es miterlebt haben. Es ist mehr als ein Bericht, denn im Roman befinden wir uns im Erleben, sind oft sogar Teil der Handlung, sympathisieren mit den Figuren. Zwar reicht Diversität in der eigenen Büchersammlung natürlich nicht aus, um sich mit Feminist*innen zu verbünden. Es ist nur ein kleiner Schritt zu feministischer Solidarität und selbst der belesenste cis-Mann wird nie nachempfinden können, wie es sich anfühlt sexistisch diskriminiert zu werden. Eine weiße Person kann die Intersektion von Rassismus und Sexismus nicht selbst erleben. Doch Geschichten sind vielleicht einer unserer besten Wege uns einem wirklichen komplexen, in allen Intersektionen verwobenen Verständnis anzunähern.
Beitragsbild: ©Janko Ferlič | UnSplash