Lautstark: »Clinging to a Scheme« – Der Sommer der Jugend
Die vergangenen anstrengenden Pandemie-Monate ließen viele Menschen sehnsüchtig auf den Sommer warten. Nun ist er endlich da und verwandelt uns Dank der niedrigen Inzidenz wieder in kleine social butterflies. Doch was benötigt man* neben den drei S – Sonnenbrille, Sonnencreme (immer schön einschmieren!) und Shorts – noch für den Jahreszeitenwechsel? Das vierte S: Den perfekten Soundtrack. Und den liefern The Radio Dept. mit »Clinging to a Scheme«.
von Celina Ford
Was verbindet ihr mit Sommer? Für mich ist es das außergewöhnliche Gefühl, früh aufstehen zu wollen, um die kühle Morgenluft zu riechen, etwas träge im Gartenstuhl zu dösen, die wohlige Wärme und Sonnenstrahlen auf der Haut zu spüren, sich über den rosa Abendhimmel zu freuen und sich natürlich mit Freund*innen in der nördlichsten Stadt Italiens zu treffen. All das in Musik zu übersetzen schafft ausgerechnet die schwedische Gruppe The Radio Dept. mit ihrem Mix aus funkelndem Dream Pop, Indie Rock und Shoegaze. Und das auch noch mit Ansage.
Royale Unterstützung
Die Geschichte von The Radio Dept. beginnt 1995 in Lund. Die Idee für den Bandnamen kam den beiden Schulkameraden Elin Almered und Johan Duncanson, als sie an einer Tankstelle ein Schild mit dem Hinweis »Radioreparatur« (auf Schwedisch »Radioavdelningen«) entdeckten.
Das Jahr 2001 markierte einen Wendepunkt in der noch jungen Karriere der Band: Nach einem Line-Up-Wechsel, einer positiven Kritik im Musikmagazin Sonic und dem Feature auf einem CD-Sampler konnte die Gruppe endlich einen Plattenvertrag ergattern und 2003 schließlich ihre erste LP »Lesser Matters« auf den Markt bringen. Doch als nicht nur die Bassistin Lisa Carlberg, sondern auch der Schlagzeuger Per Blomgren ausstiegen, beschlossen die übrig gebliebenen Bandmitglieder Johan Duncanson, Martin Larsson und Daniel Tjader, einfach komplett auf den Bass zu verzichten und digitale Drum-Tracks zu verwenden. Ein Schritt, der zum typischen The Radio Dept.-Sound führte.
Größere Bekanntheit erreichten die Schweden durch den Soundtrack zu Sofia Coppolas Film »Marie Antoinette« (2006) – eine anachronistische und poppige Biografie über das Leben der jungen französischen Königin und ihrem kontroversen Image. In wahrer Coppola-Manier frohlockt Kirsten Dunst in extravaganten Roben durch die Flure von Versailles, wird von Liebeskummer umgetrieben und tanzt zu The Strokes, Siouxsie and the Banshees und eben The Radio Dept. durch die Nacht.
Sonnenschirm und Anti-Kommerz
Nicht nur der Coppola-Soundtrack präsentierte die Band einer größeren Öffentlichkeit, sondern auch das im gleichen Jahr erschienene, zweite Album »Pet Grief«. Bis zur Veröffentlichung des Diskographie-Highlights »Clinging to a Scheme« zogen jedoch weitere vier Jahre ins Land. Doch das Warten hat sich gelohnt.
Auf »Clinging to a Scheme« hört man* Dream Pop und Indie Pop in seiner reinsten Form. Glitzernde Gitarren, die an das Funkeln des Wassers erinnern, eingängige Hooks und entspannte Drum-Tracks bilden das Grundgerüst des schwedischen Sommersounds. Hin und wieder inkorporiert die Band sogar Elemente des Shoegaze: Viel Hall und Fuzz verleihen den Songs dann noch mehr Charakter. Würde man* The Radio Dept. mit anderen Bands vergleichen, käme vermutlich eine Mischung aus My Bloody Valentine, Nick Drake, The War on Drugs, The Avalanches und Jesus and Mary Chain dabei heraus. Doch egal welchen musikalischen Weg die einzelnen Tracks auch einschlagen, die Atmosphäre bleibt fast immer die gleiche: Ein entspannter Samstagnachmittag bei 30 Grad, irgendwo im Halbschatten auf der Wiese am See.
So lässig das Album auch ist, die politische Arbeit macht keine Sommerpause. Würde man* nämlich nicht auf die Texte hören, käme man* bei den ganzen Sommergefühlen wahrscheinlich nicht auf die Idee, dass »Clinging to a Scheme« ein durchaus politisches Album ist. Duncanson haucht einem nicht nur seine Faszination für die jugendliche Aufbruchsstimmung ins Ohr, sondern singt auch über seine Ängste angesichts der Kommerzialisierung der Jugendkultur, also des Rock-and-Roll- und Punk-Spirits.
Mit dieser Sorge ist Duncanson nicht allein. Zur Unterstützung zieht er einen Kollegen und musikalische Inspirationsquelle heran, nämlich Thurston Moore von Sonic Youth. Auf »Heaven’s on Fire« sampelt er ein Interview mit der Indie-Rock-Legende, in welchem er sich ebenfalls Gedanken macht, wie man* auf die Vermarktung der Jugendkultur reagieren sollte:
People see rock and roll as, as youth culture, and when youth culture becomes monopolised by big business, what are the youth to do? Do you, do you have any idea? – I think we should destroy the bogus capitalist process that is destroying youth culture.
Thurston Moore
Politische Statements durchziehen nicht nur die Lyrics, sondern auch das Artwork des Albums. Das Cover stammt aus dem Dokumentarfilm »Grass« (1999) und zeigt einen jungen Soldaten während des Vietnamkriegs, der Marihuana durch den Lauf seines Gewehrs raucht. Eine Verschwendung der jungen Jahre, langes und träges Warten, kurzlebige Ablenkung – und für was? Der Soldat weiß es vermutlich nicht einmal selbst. Gefangen in einem kommerziellen Krieg, der eine ganze Jugend zerstörte. Wenigstens gleicht die Musik die nicht immer ganz einfach zu verdauende Message aus.
Wer also noch einen Soundtrack für einen entspannten und gleichzeitig politischen Sommer braucht, dem*der sei geholfen:
Beitragsbild: © Scandinavia Standard