Feminis:muss: Ein entspannter Abend
Diese verschwimmenden Abende bei denen wir, selbst wenn ein Foto entstanden ist, nach wenigen Wochen nicht mehr einordnen können, wann genau, wer genau und wie genau. Meistens sind sie im Nachhinein schön, laut und ausgelassen. Doch die kleinen Sandkornmomente bleiben, wenn man ehrlich zu sich ist auch im Gedächtnis – es knirscht.
– ein Gastbeitrag von Fenja Siebels
Ein entspannter Abend, wir kochen in der WG und es kommen noch ein Freund und eine Freundin vorbei. Wie fast immer gibt es eine ganze Menge Gemüse, das geschnippelt werden muss. Wir, die Hausherrinnen machen uns direkt an die Arbeit: »Gibst du mir das Brett rüber?«; »Fängst du an die Zwiebel zu schneiden, dann mach ich die Kartoffeln …« Unsere Freundin steigt sofort mit ein. Wir sind fast am Ende des Kochens angelangt, als unser Freund fragt, ob er denn noch etwas tun kann. Meine Mitbewohnerin und ich wechseln einen kurzen, nicht-sein-Ernst Blick und dann antworte ich: »Nee, lass mal! Ich glaube, wir sind durch. Du kannst noch ein paar Gläser auf den Tisch stellen!«. Es passiert einmal, zweimal, dreimal. Irgendwann spreche ich aus, was wir schon über so viele Blickkontakte kommuniziert haben. Wieso? WIESO? Wieso lehnen sich unsere männlichen Freunde und Bekannte zurück, während es für unsere Freundinnen selbstverständlich ist mitzuhelfen und Sachen vorzubereiten. Kochen können sie ja auch und ein Messer in die Hand nehmen, um eine Zucchini zu zerkleinern erst recht.
Sonst sitzen sie neben mir in den Seminarräumen oder zurzeit zumindest virtuell neben mir im Zoom Meeting und diskutieren über das patriarchale System. Sonst stehen sie neben mir auf der Straße am 8. März und haben sich top vorbereitet mit Schildern und dem ♀ auf der Stirn. Sonst regen sie sich mit mir über die Baumarktboys auf, die mich auf der Suche nach dem passenden Dübel in diesem riesigen, unüberschaubaren Laden, als kleines Heimwerkermädchen behandeln, dann lässig auf »Gang 23 linke Seite« verweisen und sich die Zusatzinfo, dass diese Schlitzschrauben ja schon seit zehn Jahren so nicht mehr produziert würden, nicht verkneifen können. Wir lesen die gleichen Bücher und vertreten oft einen ähnlichen Standpunkt bei Diskussionen, in denen sie sehr wohl eine feministische Perspektive einnehmen und anbringen. Nur wieso verfallen wir trotzdem immer wieder in Muster, die wir als konservativ und längst zurückgelassen ansehen? Liegt es an der Erziehung, die wir bekommen haben? Oder daran, dass es eben bei dem Blick zwischen mir und meiner Mitbewohnerin bleibt und wir uns eben nicht durchringen das Gedachte laut zu machen? Liegt es an der konsequenten Verkennung dieser Sachen? Ich meine, immerhin hat er dann ja gefragt, ob er noch was machen kann …
Neuer Tag, neues Glück: In einer Mädelsrunde vor ein paar Tagen erzählt eine Freundin von zu Hause. Wenn sie dort ist, dann wird in der Familie mit dem Abspülen rotiert – jeden Abend ein anderes Familienmitglied. Sie ist wieder weg und die Mutter steht wieder allein an der Spüle. Suchen wir hierbei nach einer*m Schuldigen? Ist es die Mutter, die die Regel nicht umsetzt? Oder wieso nicht auch der Vater? Oder sind es die Söhne, die sich nicht auf ihrer Faulheit ausruhen sollten? Oder – der Klassiker – unsere Gesellschaft?
Ein Wort, das mir in den Kopf kommt und ich am liebsten komplett aus meinem Wortschatz löschen wollen würde ist »tüchtig«. Es klingt alt, es klingt verstaubt und ich assoziiere es mit den Worten meiner Oma, die zu mir und meiner Schwester sagt:
»Ihr seid so tüchtige Mädchen!«
Was zur Hölle meinte sie damit? Mein Mitbewohner übersetzt: »Nicht so janz helle im Kopf, aber dafür fleißig halt«. Bei mir rattert es. Kommt es wohl aus der Zeit, als Frauen aus der Öffentlichkeit ferngehalten und von politischen Prozessen ausgeschlossen wurden? Als sie sich mit dem Platz am Herd zufriedengeben mussten? Hat uns Rousseau das alles etwa eingebrockt, indem er Unfug in die Welt setzte, wie:
»Sobald diese Mädchen verheiratet waren, sah man sie nicht mehr in der Öffentlichkeit; eingeschlossen in ihren Häusern kümmerten sie sich ausschließlich um ihren Haushalt und ihre Familie. Dies ist die Lebensweise, die dem weiblichen Geschlecht von Natur und Vernunft vorgeschrieben wird.«
Rousseau: »Émile oder Über die Erziehung«
Bin ich jetzt am Überinterpretieren und sind meine Assoziationen zu sehr von persönlichen Erfahrungen geprägt, als dass ich bestimmte Wörter als Zuschreibung zu weiblich gelesenen Personen verorten könnte? Bin ich eine von denen, die in allen Situationen auf das Patriarchat lauern und die Gesellschaft verteufeln? Bin ich eine von denen, die Rousseau und Kant nicht für ihre Ideen bewundern, mit denen sie eine Wende in der Gesellschaft hervorgebracht haben, sondern zeige ich lieber mit dem Finger auf ihre Aussagen, die der damaligen gesellschaftlichen Haltung definitiv nicht voraus waren?
»Nee … «, sag ich mir, setze mich in die Küche und fange an die Zwiebeln zu schälen.