Wohnsinn-Kolumne: Marmeladenglas Momente
»Es gibt keine Zeit, in der man* sich so frei fühlt wie in den zwanziger Jahren«, haben meine Eltern häufig gesagt, aber irgendwie habe ich diese Freiheit in den vergangenen Monaten zwischen Pandemie und Winter Blues häufig vermisst. Während meine neu zugelegten Routinen mich einigermaßen zuverlässig durch das letzte Jahr Online-Uni getragen haben, haben sie doch auch bewirkt, dass ich mich gefangen in einer Masse an immer gleichen Tagen gefühlt habe. Aber darum soll es nicht gehen, denn irgendetwas hat sich in den letzten Wochen verändert und ich habe eine ganze Sammlung von Momenten erlebt, in denen ich mich überhaupt nicht so gefühlt habe:
von Hannah Ickes
Mit dem Rad durch Regensburg radeln
An warmen, langen Frühlingsabenden zum Beispiel, wenn ich durch Regensburg radele, fühle ich mich so lebenslustig wie lange nicht. Ohne die Last meiner Winterkleidung schwinge ich mich häufiger nochmal aufs Rad, um nach einem Spaziergang an der Donau noch ein Eis beim Stenz zu essen oder mich zu einem Picknick beim Fernsehturm zu treffen. Manchmal wird es auch später (wie reden hier von spät im Corona-Sinne) und wenn ich dann um kurz vor zehn Uhr die Kumpfmühler Straße herunter sause, hüpft mein Herz vor Freude, weil ich mich lebendig fühle.
Auf dem Flachdach vor meinem Fenster
Fast genauso wild ist eine andere kleine Alltagsfreude: das Flachdach vor meinem Fenster. Es ist kein Balkon aber vielleicht sogar besser, denn die Tatsache, dass es in seiner ursprünglichen Funktion nicht als mein Balkon gedacht war, macht es um so reizvoller. Wenn es draußen warm ist, klettere ich durch mein Fenster und setze mich auf das Dach, um zu frühstücken, Kaffee zu trinken oder auch eine Vorlesung zu sehen. Während die Vögel zwitschern und ich die Kinder auf dem Spielplatz in meiner unmittelbaren Nachbarschaft höre, lasse ich die Enge meines Wohnheimzimmers hinter mir und fühle mich glücklich.
Essen von der Mensa holen
Eine der Freiheiten, die ich eigentlich auch in Corona-Zeiten immer zu schätzen wusste, war, dass ich für mich selbst kochen konnte. Trotzdem genieße ich es regelmäßig, seit die Mensa wieder offen hat und das Wetter es erlaubt, in meiner Mittagspause zur Uni zur fahren und dort zu essen. Vielleicht besteht die Freiheit nicht in der Auswahl an Gerichten, zwischen denen ich wählen kann, sondern in dem Stück Normalität, die mir die Zeit auf dem Campus schenkt, und der Vorstellung, wie das Leben wieder sein kann.
Ortswechsel, einfach mal raus
Und zu guter Letzt die Möglichkeit, einfach mal rauszukommen. Natürlich ist das schwer möglich so pandemiekonform. Ich hatte allerdings in den vergangenen Tagen das Glück, dass mein Cousin und sein umgebauter Bus mich besucht haben. Wir sind ein Wochenende einfach mal weggefahren. Zwischen Pinienwäldern und Feldern habe ich mal alles hinter mir gelassen und nur in den Tag gelebt, und als am letzten Abend die Sonne auf ganz spektakuläre Weise unterging, habe ich mir wie Frieda aus den Wilden Hühnern gewünscht, dass ich diesen schönen Moment einfach in einem Marmeladenglas einfangen kann, um es irgendwann nochmal zu öffnen und daran zu riechen.
Nächste Woche gibt es dann wieder Neuigkeiten aus dem Wohnsinn-Alltag von Lotte.
Beitragsbild: JillWellington | Pixabay