Wohnsinn-Kolumne: Der stolze Pflanzen-Papa
Wir werden im Sommer sehr viele Zucchinis essen und Chilis. Hoffentlich mehr Zucchinis als Chilis. Warum? Die Corona-Langeweile hat meinen Freund dazu veranlasst, eine Gemüse- und Kräuteranzucht zu starten. Und das im großen Stil. Jedenfalls für einen Zwei-Personen-Haushalt.
von Lotte Nachtmann
Auf den Fensterbänken der zwei WG-Zimmer meines Freundes reihen sich die Töpfchen. Ty für Thymian, ZM für Zitronenmelisse, Bas für Basilikum. Dazu kommen Oregano und zwei Schwarzäugige Susannen, die später einmal das Rankgitter an der Terrasse begrünen sollen. Auf einem anderen Fensterbrett stehen vier Töpfchen mit Baby-Zucchini-Pflanzen, die den beiden Mini-Gewächshäusern schon entwachsen sind. Darin wiederum befinden zwölf Tomaten- und 16 Chiliaussaaten. Die sind aber noch nicht groß genug für ihre eigenen Töpfchen. Außerdem noch ein Glas mit Oleander-Ablegern, die sich eines Tages in die Familie der drei großen Olis auf der Terrasse einreihen sollen.
Soweit die Inventur des grünen Nachwuchses. Daneben ganz stolz der Pflanzenpapa, der sich über jeden Zentimeter freut, den seine Babys wachsen. Sehr liebevoll kümmert es sich um all seine Schützlinge, hat sich in die Anzucht von Gemüse eingelesen, sorgt stets für die richtige Temperatur. Sogar eine Heizmatte haben die Chiliembryos bekommen, da sie sich in divenhafter Manier nur bei 25 bis 28 Grad wohlfühlen. Mit einer Sprühflasche werden Erde und Kokosquelltabletten stets feucht gehalten. Damit auch keine der quengeligen Jungpflanzen auf die Idee kommt einzugehen. Die Bilanz von zwei Wochen Pflanzenelternschaft ist auch gar nicht so schlecht: Bisher muss nur der Verlust eines heranwachsenden Zucchinijungen beklagt werden. Die Schwarzen Susannen geben wir noch nicht auf. Spätentwickler halt. (Oder wir hätten die Anweisung auf der Samenpackung besser lesen sollen.)
In dem Moment, in dem diese Zeilen in die Tastatur gehackt werden, liest der führsorgliche Pflanzenpapa vor, wie die kleinen Racker dann langsam an die Außenwelt gewöhnt werden sollen. Chilipflanzen.com redet von einer einwöchigen Abhärtungsphase, in der die bisher wohl behüteten Gewächshaus-Zöglinge Tag für Tag länger an die frische Luft dürfen. Aber ja nicht zu lange, nicht dass sich die Kleinen noch erkälten oder besser gesagt austrocknen. Dabei sollen die jugendlichen Chilis eine sogenannte Cuticula ausbilden, ein »wachsartiger Überzug« auf den Blättern, der die Pflanzen vor Feuchtigkeitsverlust durch Sonneneinstrahlung bewahren soll. »Heidanei«, denke ich mir still, »haben diese Dinger Ansprüche«.
Ich für meinen Teil würde jedwede Gründaumigkeit sofort meilenweit von mir weisen. Es ist schon ein Wunder, wenn es mir gelingt, eine Basilikumpflanze länger als zwei Wochen am Leben zu erhalten. Obwohl, so ein bisschen hat mich mein sehr gründaumiger Freund inzwischen auch mitgerissen. Mein Mitbewohnerin hatte mir im selbstgebastelten Adventskalender eine all-inclusive-Thymian-Anzucht geschenkt. Daran versuche ich mich derzeit in meiner Wohnung und freue mich ebenso, über jedes grüne Köpfchen, das aus der Erde schaut. Und auch die Orchideen der Vormieterin haben bis jetzt überlebt und blühen tatsächlich auch das erste Mal in anderthalb Jahren, die ich inzwischen dort wohne. Mittlerweile würde ich auch nicht mehr von einer Pflanzenaversion sprechen, um ehrlich zu sein. Lange hatte ich eine Art Kindheitstrauma mit mir rumgeschleppt und daher jede Art der Pflanzenbetreuung kategorisch abgelehnt. Meine Eltern haben einen großen Garten. Schön denkt man sich da zunächst. Aber schön viel Arbeit ist es auch. Dass sich mein Papa jede Woche mindestens zwei bis dreimal durch Beete, Hecken und Sträucher wühlt, muss mich als Kind wirklich abgeschreckt haben. Hinzu kommt der Kernschatten, in dem sich weite Teile des elterlichen Gartens befinden. Dieser lässt lediglich Moos, Efeu und Unkraut gedeihen, weswegen die viele Mühe, die mein Papa in die Pflege steckt, nur an wenigen Stellen auch optisch Früchte trägt. Gärten sind seither für mich mit Dreck, auf den Knien rumrutschen, Zwischenlager für Heckenschnitt anlegen und Blätter in der Unterwäsche finden verbunden.
Mein Freund ist da ganz anders drauf: Er ist Pflanzenenthusiast. Auch in der alten Wohnung standen schon viele begrünte Töpfe auf dem Balkon. Die Haus-WG, in die er letztes Jahr gezogen ist, bietet mit Terrasse und Garten schier ungeahnte Möglichkeiten. Hier entsteht vor dem Haus gerade eine Wildblumenwiesen. Zusammen mit der Mitbewohnerin wurde ein gigantischer Kompost gebaut und die bereits erwähnte Gemüseanzucht nimmt besorgniserregende Ausmaße an. Während sich meine Pflanzenaversion langsam über eine gewisse Gleichgültigkeit in Akzeptanz umwandelt, freue ich mich dennoch darauf, im Sommer gegrillte Zucchinis, Zucchini-Schiffchen, Ratatouille, Zucchini-Auflauf, Zucchini-Pizza, Zucchini-Lasagne und Zucchini-Puffer zuzubereiten. Alles natürlich mit reichlich Tomaten-Chili-Sauce oder eher Chili-Tomaten-Sauce. Man* bedenke: 16!!!!!!! Chilijungpflanzen.
Nächste Woche gibt es dann News von Paulas Wohnsinn-Erlebnissen.