Mov:ement: Das Lachen, das einem im Halse stecken bleibt

Mov:ement: Das Lachen, das einem im Halse stecken bleibt

Darf man* über Hitler lachen? Über die schrecklichen Verbrechen des Nazi-Regimes? Oder gar über die Shoah? Noch dazu als deutsche*r Zuschauer*in? Mit diesen Fragen haben sich bereits zahlreiche Filmkritiker*innen, Ethiker*innen und auch Wissenschaftler*innen beschäftigt. Sind Humor und Satire probate Mittel, um das Unbegreifbare begreifbar zu machen? Oder verharmlosen sie die Grausamkeit und Menschenverachtung auf gefährliche Weise? Filme, die mit eben diesen Mitteln arbeiten, wurden und werden nicht immer nur positiv aufgenommen. Anhand von drei bekannten Beispielen möchte ich mich dem Thema mit meinen eigenen Gedanken nähern.

von Lotte Nachtmann

»Der große Diktator« (The Great Dictator) – Charlie Chaplin, 1940

Kaum jemand kennt nicht den als Adolf Hitler verkleideten Charlie Chaplin. Der Film spielt mit der Verwechslung zwischen dem nationalsozialistischen Führer und Chaplins klassischer Tramp-Figur, in diesem Falle ein namenloser jüdischer Friseur. Die Handlung findet in einem nicht wirklich fiktiven Land namens Tomanien statt, das von einem Diktator names Anton Hynkel geführt wird. Diese und andere Grammelot-Elemente sowie visuelle (Kostüme, Doppelkreuz statt Hakenkreuz etc.) und rhetorische Ähnlichkeiten (Hynkels Sprachstil) erinnern wenig subtil an Hitler-Deutschland. Der Film setzt zeitlich gesehen in der Endphase des Ersten Weltkrieges ein, in dem der jüdische Friseur wenig talentiert für Tomanien kämpft und einem Piloten das Leben rettet. Jedoch wird er dabei schwer verwundet, verliert sein Gedächtnis und kommt erst 20 Jahre später aus dem Krankenhaus, als Tomanien bereits längst von Diktator Hynkel beherrscht wird, dessen repressive Maßnahmen sich gegen Jüd*innen und alle Andersdenkenden richtet. Der jüdische Friseur, der von den Veränderungen nichts mitbekommen hat, kehrt in seinen Salon zurück, der inzwischen in einem Ghetto liegt, und muss von der benachbarten Wäscherin Hannah an das Leben dort herangeführt werden. Zwischen beiden entwickelt sich eine zarte Liebesgeschichte. Der unbedarfte Friseur wird  gerade noch davor gerettet, von den tomanischen Sturmtruppen getötet zu werden, da ihn der Kommandeur Schultz, dem er damals das Leben gerettet hatte, wiedererkennt. Schultz beschützt ab diesem Zeitpunkt das Ghetto vor Übergriffen. Diese Einstellung wird ihm zum Verhängnis, als er gegen erneute Repressionen Hynkels gegenüber der jüdischen Bevölkerung eintritt. Ihm gelingt allerdings die Flucht aus dem Konzentrationslager und er kommt bei dem Friseur unter. Unterdessen paktiert Anton Hynkel mit dem Diktator des ebenfalls totalitären Bakteria (Anspielung auf das faschistische Italien) unter Führung des Diktators Benzino Napoloni. Sein geheimer Plan ist die Invasion Osterlitschs (Österreich). Die Ghetto-Bewohner*innen planen ein Attentat auf Hynkel, fliegen aber auf. Hannah kann nach Osterlitsch fliehen, der Friseur und Schultz landen jedoch erneut im Konzentrationslager. Doch auch dieses Mal gelingt die Flucht, indem sie sich als Nazi-Kommandeure verkleiden. Da der Friseur große Ähnlichkeiten zu Hynkel aufweist, wird er mit ihm verwechselt, während der echte Hynkel für den flüchtigen Friseur gehalten und festgenommen wird. So kommt es, dass der jüdische Friseur als Hynkel eine Rede an das Volk des unterdessen besetzten Osterlitschs hält, in der er zu Frieden, Toleranz und Menschlichkeit aufruft. Da er im Verlauf der Rede von seiner normalen Stimme zur Rhetorik Hynkels/Hitlers wechselt, ist das Publikum am Ende begeistert.

Der ahnungslose jüdische Friseur im Konflikt mit den tomanischen Schutztruppen im Ghetto (»Der große Diktator«). ©PRLOG Press Release Distribution

»Sein oder Nichtsein« (To Be or Not to Be) – Ernst Lubitsch, 1942

Auch »Sein oder Nichtsein« des deutschstämmigen Regisseurs Ernst Lubitsch lebt von der Verwechslung. Ort der Handlung ist Warschau im Sommer 1939. Im Mittelpunkt steht eine Schauspieltruppe, die für ein antifaschistisches Theaterstück probt. Jedoch verbietet die polnische Regierung die Aufführung aus Angst vor einer Provokation Hitlers. Stattdessen steht Shakespeares »Hamlet« auf dem Spielplan. Die beiden Protagonist*innen der Komödie sind das Schauspielpaar Maria und Joseph Tura. Maria beginnt eine Affäre mit dem jungen Fliegerleutnant Stanislaw Sobinski. Nach Kriegsausbruch gelangt dieser nach London, wo er auf den polnische Professor Siletsky trifft und diesen als Agenten der Deutschen entlarvt. Polnische Flieger hatten Siletsky Adressen ihrer zum Untergrund gehörenden Familienmitglieder (Sobinski hat auch eine Nachricht an Maria geschickt) gegeben, da dieser versprach jene bei seinem Warschau-Besuch zu überbringen. Sobinski folgt Siletsky daher nach Warschau, um zu verhindern, dass die Adressen in die Hände der Deutschen geraten. Maria Tura trifft Siletsky in Warschau, der ihr die Nachricht ihres Liebhabers übermittelt, sie aber gleichzeitig als Agentin gewinnen möchte und selbst Interesse an ihr zeigt.

Ab diesem Zeitpunkt beginnt ein Rollen- und Verwechslungsspiel, das selbst aufmerksame Zuschauer*innen beim ersten Mal verwirren kann. Zunächst geben die Schauspieler*innen sich und ihr Theater als Gestapo-Hauptquartier aus und laden Siletsky dorthin ein. Joseph Tura, als Gruppenführer Erhardt verkleidet, kann jedoch seine Eifersucht nicht verbergen, woraufhin Siletsky ihn enttarnt und auf der Flucht erschossen wird. Tura übernimmt nun die Rolle des Professor Siletsky und trifft auf den echten Gruppenführer Erhardt. Dabei erfährt er von einem geplant Besuch Hitlers in Warschau. Nachdem auch diese Täuschung auffliegt, bangen die Schauspieler*innen um ihr Leben und planen eine erneute Maskerade für ihre Flucht nach Schottland. Dies gelingt tatsächlich und sie können als Nazi-Offiziere verkleidet (einer der Schauspieler gibt sich als Hitler höchstpersönlich aus) aus Polen entkommen. Der Rekurs auf Shakespeare ist während des gesamten Filmes ein stehendes Element, nicht nur in Bezug auf Tura, der mehr schlecht als Recht den Hamlet spielt, sondern auch als Ablenkungsmanöver bei der Flucht. Dabei zitiert der Schauspieler Grünberg den Shylock aus dem Stück »Der Kaufmann von Venedig« und prangert damit die Naziideologie an.

Schauspieler Bonski als Hitler verkleidet in »Sein oder Nichtsein«. ©Babylon Berlin

»Das Leben ist schön« (La vita è bella) – Roberto Benigni, 1997

Diese Tragikomödie des italienischen Regisseurs Roberto Benigni wurde anders als die beiden zuvor beschriebenen Filme nicht zu Kriegszeiten gedreht, sondern mehr als ein halbes Jahrzehnt später. Im Mittelpunkt der Handlung steht der jüdische Buchhändler Guido Orefice. Die erste Hälfte zeigt humorvoll bis slapstickartig das Leben eben jenes Mannes und seine Versuche, Dora, die er seine »geliebte Prinzessin« nennt, für sich zu gewinnen. Sie haben später einen gemeinsamen Sohn: Giosuè. Für diese Betrachtung ist insbesondere der zweite Teil des Films interessant. Der Zweite Weltkrieg bricht aus, in dem das faschistische Italien unter Mussolini mit dem Nazi-Regime kooperiert. Guido und Giosuè werden aufgrund ihrer jüdischen Abstammung in ein Konzentrationslager deportiert. Dora folgt ihnen freiwillig. Für seinen Sohn entwickelt auch Guido eine Art Maskerade, indem er ihm erzählt, alles sei ein furchtbar kompliziertes Spiel mit sehr strengen Regeln, an die er sich haargenau halten muss, um zu gewinnen und einen Panzer als Siegerpreis zu erhalten. Die Täuschung soll für Giosuè die dramatische Situation im KZ verschleiern. Gegen Kriegsende herrscht Chaos im Lager und Guido will als Frau verkleidet zu Dora gelangen. Giosuè soll sich in einem Wandschrank verstecken und denkt weiterhin, dies sei Teil des Spiels. Guido wird entdeckt und erschossen, hält aber bis kurz vor seiner Ermordung die Fassade für seinen Sohn aufrecht. Dieser hält sich selbst während der Evakuierung des Lagers versteckt und kommt erst hinaus, als alles verweist ist. Am Ende taucht ein amerikanischer Panzer auf, der den Jungen mitnimmt. Giosuè denkt, er habe das Spiel damit gewonnen und berichtet seiner Mutter, die er wenig später wiedertrifft, begeistert davon.

Guido und sein Sohn Giosuè in »Das Leben ist schön«. ©Arthouse Cinema

Das Versteckspiel

Was alle drei Filmen verbindet und was ihren komödiantischen Charakter ausmacht, ist das Versteckspiel. Es erfüllt in jedem einzelnen Film seinen eigenen Zweck: In »Der große Diktator« ist es eine Verwechslung, die am Ende einen hoffnungsstiftenden Appell nicht nur an das Volk im Film, sondern an die ganze Welt des Jahres 1940 ermöglicht. In »Sein oder Nichtsein« wird das Schauspiel von einer Kunstform zum Kampf um das eigene Überleben. Und in »Das Leben ist schön« soll es einem kleinen Jungen helfen, das Konzentrationslager zu überstehen. Alle drei Filme haben dadurch auf den ersten Blick vielleicht etwas Naives, das ihnen auch als Verschleierung der Tatsachen oder Verharmlosung der Realität vorgeworfen wurde. Gerade in »Der große Diktator« wirkt das Konzentrationslager, in dem Schultz und der jüdische Friseur gefangen gehalten werden, eher wie ein strenges Ferienlager als wie ein Ort des Todes. Diese Darstellung ist vermutlich auch der Tatsache geschuldet, dass 1940 Charlie Chaplin das Ausmaß des Grauens der Lager noch nicht hat bewusst sein können. Dem/der heutigen Zuschauer*in ist es das aber und die Transferleistung, zu verstehen, dass hier nichts verharmlost wird, ist von ihm/ihr auch zu erwarten.

»Das Leben ist schön« zeigt ein Konzentrationslager hingegen aus der Sicht eines Kindes, dem noch dazu der Schein eines Spiels vorgegaukelt wird. Mir als erwachsener Zuschauerin bleibt jedoch das ansteckende Lachen Giosuès, als seine Vater – um seine Erschießung wissend – noch für ihn Späße macht, im Halse stecken. Beim erneuten Ansehen der Szene schossen mir sofort die Tränen in die Augen, als der kleine Giosuè aus seinem Versteckt krabbelt, den amerikanischen Panzer erblickt und sich über seinen Sieg im Spiel freut. Diese letzten Sätze, die das Wiedersehen mit der Mutter untermalen, lauten: »Dies ist meine Geschichte, dies ist das Opfer, welches mein Vater erbracht hat, dies war sein Geschenk an mich. Wir haben das Spiel gewonnen.« Guido hat alles geopfert für seinen Sohn, damit dieser gewinnen kann. Und einem wird bewusst, dass damit nie das vorgegaukelte Spiel gemeint war, sondern nichts geringeres als sein Leben. In diesen Sätzen steckt viel mehr als nur die Geschichte von Giosuè und seinem Vater, die zum Teil auf den Erlebnisse von Benignis Vater im KZ Bergen-Belsen beruhen. In ihnen steckt die furchtbare Tatsache, dass im Zweiten Weltkrieg unfassbar viel geopfert werden musste, um ihm und der Shoa ein Ende zu setzen. Der Sieg Giosuès im Film hat daher einen genauso bittersüßen Beigeschmack der derjenige der Alliierten im Krieg.

Schlüsselmomente der Menschlichkeit

Charlie Chaplins Rede als Diktator Hynkel setzt genau an dieser Stelle an, nur auf direktere Weise, direkt ins Gesicht der Zuschauer*innen. Der jüdische Friseur ist aber auch kein kleiner Junge wie Giosuè. Er beschließt daher seine Rede mit dem Satz: »Auch wenn es Blut und Tränen kostet, für die Freiheit ist kein Opfer zu groß.« Zuvor appelliert er an die Menschlichkeit, indem er sagt: »Wir sprechen zu viel und fühlen zu wenig. Aber zuerst kommt die Menschlichkeit und dann erst die Maschinen. Vor Klugheit und Wissen kommt Toleranz und Güte. Ohne Menschlichkeit und Nächstenliebe ist unser Dasein nicht lebenswert.« Und mit Menschen meint er alle Menschen: »Den Juden, den Heiden, den Farbigen, den Weißen.« Letztlich spricht er über genau die Menschlichkeit und die Liebe, die Guido dazu ermutigt haben, seinem Sohn ein Spiel vorzutäuschen. Und auch bei diesem Ende des Films wird man* als Zuschauer*in plötzlich ernst und schämt sich schon fast dafür, dass man* kurz zuvor noch über die Parodie Hitlers und Mussolinis gelacht hat. Und die Menschlichkeit wird auch in der Szene deutlich, als Hannah davor warnt, nicht zu denselben Mitteln wie die Nazis zu greifen und sich niemand traut, sein eigenes Leben zu opfern, um Hynkel zu ermorden (die Anspielung auf das Thema Tyrannenmord wird angesichts des späteren Stauffenberg-Attentats erschreckend deutlich). Vielleicht ist die Menschlichkeit doch das letzte Opfer, das für die Freiheit zu groß ist.

Die Rede des jüdischen Friseurs als Diktator Hynkel in »Der große Diktator«.

Einen solchen Schlüsselmoment erleben die Zuschauer*innen auch bei »Sein oder Nichtsein«, nur nicht am Ende des Films, sondern zu seinem Spannungshöhepunkt. Der Schauspieler Grünberg hat sich immer gewünscht, den Shylock in Shakespeares »Der Kaufmann von Venedig« zu spielen und beklagt sich zu Beginn des Films auf recht amüsante Weise über seine Nebenrolle in »Hamlet«. Sein Kollege Bronski lobt ihn für seine Interpretation des Monologs:

»Ich bin ein Jude. Hat nicht ein Jude Augen? Hat nicht ein Jude Hände, Gliedmaßen, Werkzeuge, Sinne, Neigungen, Leidenschaften? Mit derselben Speise genährt, mit denselben Waffen verletzt, denselben Krankheiten unterworfen, mit denselben Mitteln geheilt, gewärmt und gekältet von eben dem Winter und Sommer als ein Christ? Wenn ihr uns stecht, bluten wir nicht? Wenn ihr uns kitzelt, lachen wir nicht? Wenn ihr uns vergiftet, sterben wir nicht? Und wenn ihr uns beleidigt, sollen wir uns nicht rächen?«

So heißt es im Original. In der deutschen Fassung ersetzt Grünberg Jude durch Mensch, was die Botschaft seiner Worte noch deutlicher macht. In dieser ersten Szene wirkt er allerdings noch wie ein träumender Schauspieler. Als er den Monolog erneut vorträgt, Schnee und Schutt auf den Straßen des zerbombten Warschaus zusammen kehrend, kennt sein Blick nur noch Trauer und Verzweiflung. Beim dritten Mal, als er dieselben Worte Hitler als Ablenkungsmanöver geradezu ins Gesicht schreit, funkelt sein Blick vor Wut, ist aber auch gleichzeitig voller Hoffnung. Spätestens als er direkt in die Kamera blickt, wird aus dem Monolog seiner Traumrolle ebenfalls ein Appell an die Menschlichkeit. Denn wie es im Film nach Kriegsausbruch so treffend heißt, wurde nach der Absetzung der geplanten Hitler-Komödie ganz Polen zur Bühne und keine Zensur konnte das Stück mehr absetzen.

Im Lachen liegt die Widersprüchlichkeit menschlichen Seins

Aus mittelmäßigen Schauspieler*innen wurden Freiheitskämpfer*innen, aus einem albernen Vater wurde ein Freiheitskämpfer und auch aus einem tölpelhaften Friseur wurde eine Freiheitskämpfer. Allen drei Filmen liegt die Idee der Freiheit und der Menschlichkeit zugrunde. Und Lachen gehört genauso zur Menschlichkeit wie Ernst und Trauer. Daher ist es, meiner Auffassung nach, allen drei Filmen gelungen, auszudrücken, was Menschlichkeit bedeutet: und zwar eine immerwährende Ambivalenz. Die Komödien leben vom Widerspruch: einfache, untalentierte Leute gegen die Mordmaschinerie der Nazis, die eigene Angst oder Eifersucht gegen höhere Ziele der Befreiung vieler, Liebe gegen Hass, das Lachen gegen die Grausamkeit, Siegen für einen hohen Preis. Die Widersprüchlichkeit menschlichen Seins, gerade in Zeiten und an Orten, die offensichtlich fast jeder Menschlichkeit entbehrt haben, ist vielleicht gerade dann besser zu ertragen, wenn man über sie lacht. Und dennoch ist jede*m, der/die diese Filme sieht, bewusst, dass dies kein freudiges Lachen ist, sondern eines, das einen tief getroffen und beschämt über die Abgründe menschlichen Daseins zurücklässt.

 

Beitragsbild: © Arthaus | Video Buster

 

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