Lautstark: Wie mich Spotify musikfaul gemacht hat
In dieser Kolumne geht es traditionellerweise darum, neue, interessante oder unbekannte Künster*innen vorzustellen. In den letzten Wochen musste ich allerdings feststellen, dass ich Euch wenig Spannendes zu erzählen habe. Das liegt weniger (aber auch schon ein bisschen) daran, dass ich wenig Musik höre, sondern vielmehr daran, dass ich immer das Gleiche höre. In dieser Ausgabe der Lautstark-Kolumne geht daher ab auf die Metaebene und meine Bequemlichkeit, mich auf neue Musik einzulassen.
von Lotte Nachtmann
Ich erinnere mich noch daran, wie ich mich früher jedes Mal diebisch auf Weihnachten oder den Geburtstag gefreut hat. Denn das hieß in der Regel: Es gibt etwas Neues auf die Ohren. Ich konnte mich eigentlich immer darauf verlassen, dass ich ein neues altes Album geschenkt bekomme, von dem mein Vater denkt, dass ich es unbedingt kennen muss. Und da ich zu derjenigen Fraktion von Jugendlichen gehört habe, die ihren Musikgeschmack aus dem elterlichen Plattenregal zusammengeklaubt haben, fand ich diesen musikalischen Paternalismus auch nie wirklich nervig, sondern habe mich vielmehr darüber gefreut. In der Retrospektive betrachtet, wird mir dieser Luxus einer Versorgung mit neuer Musik, ohne sich anstrengen zu müssen, allerdings zum Verhängnis. Denn ich habe nie gelernt, neue Alben, Musiker*innen oder Genres selbst zu entdecken.
Elterlicher Musikpaternalismus
Ein weiterer Faktor, der meiner Unselbstständigkeit in Sachen Musikgeschmackentwicklung nicht gerade förderlich war, fängt mir S an und hört mit potify auf. Wie erwähnt, habe ich früher in meiner Jugend immer CDs geschenkt bekommen. In der elterlichen Wohnung existiert diese für Jugendzeiten doch relativ umfangreiche CD-Sammlung auch noch, genauso wie meine Anlage. All das musste aus Platz- und Praktikabilitätsgründen aber bei den Eltern bleiben und darf vermutlich erst nach dem Studium wieder bei mir einziehen. Insofern habe ich zur Zeit weder den Platz für physische Tonträger noch die Möglichkeit, diese abzuspielen. Die logische Konsequenz war – wie für viele – irgendwann Spotify. Die unendlichen Möglichkeiten, Musik unzähliger Bands und Genres zu durchforsten, hat für mich aber weniger eine Befreiung vom der durchaus kostspieligen CD- und Schallplattengame dargestellt. Denn früher habe ich – wenn ich ein neues Album einmal geschenkt bekommen oder mir selbst gekauft habe – dieses dann wochenlang rauf- und runtergehört. Insofern war ich dann auch wochenlang von eben diesem Album begeistert. Wenn es damals die Lautstark-Kolumne schon gegeben hätte, wäre ich vermutlich nie so einfallslos wie jetzt gewesen.
70er-Jahre-Roadtrip-Playlists gehen immer
Was ist denn nun jetzt aber mein Problem mit Spotify, fragt Ihr Euch sicher. Ähnlich wie es vielen bei Netflix, Amazon Prime und Co. und der Auswahl von Filmen oder Serien geht (Spoiler-Alert: in der nächsten Ausgabe der Lautschrift mehr dazu), überfordert mich die gigantische Auswahl von Musikstreaming-Diensten. Dabei habe ich gleich mehrere Probleme, oder komische Eigenarten, je nachdem, wie man es sieht. Erstens: das Prinzip Playlist. Wenn ich Musik hören will, greife ich, seitdem ich Spotify nutze, viel seltener zu Alben, sondern mache es mir einfach und haue eine Playlist rein. 70er-Jahre-Roadtrip geht irgendwie immer. Auch die eigenen Playlists sind eigentlich nur mit meinen absoluten Evergreens bestückt. Bei mir heißt das Bruce Springsteen, Bruce Springsteen, Linkin Park und Queen. Und Bruce Springsteen. Entsprechend höre ich eigentlich immer das Gleiche.
Und das liegt nicht nur an den Playlists, sondern zweitens vor allem daran, dass ich es inzwischen anstrengend finde, etwas Neues zu hören. Wenn das Geburtstagsgeschenk-Album das absolute Highlight des Monats ist, dann hört man die neuen Songs, egal ob sie einem von Anfang an gefallen oder nicht. So habe ich mich oft genug durch Alben durchgezwungen und so lange gehört, bis ich ihre Qualität endlich erkannt habe und sie mochte. Pink Floyd und David Bowie waren da immer heiße Kandidaten, die es mir schwer gemacht haben, Alben von Anfang zu mögen, vermutlich, weil man* sie einfach nicht versteht. Wenn ich mich aber heute mal dazu aufraffe, etwas Neues zu hören, verliere ich viel schneller die Nerven, wenn mir mal ein Song nicht passt und kehre zurück zu den 70er-Jahre-Roadtriphits. Warum? Einfach, weil es einfach ist. Eine CD oder gar eine Platte zu wechseln und erstmal in eine Ecke des Regals zu verbannen, fällt auch aufgrund des höheren Preises viel schwerer, als einfach einen neuen Titel einzutippen oder den Reiter mit der entsprechenden Playlist anzuklicken. Ich habe die Geduld verloren, mich auf Musik einzulassen und sie ihre Magie ausspielen zu lassen. Es ist schlichtweg zu einfach geworden, sich umzuentscheiden.
Sicherheitspolitik statt Pink Floyd
Oft kommt mir bei Alben oder sogar Playlists – und das ist mein dritter Punkt – der Einfall, dass ich diesen oder jenen Song jetzt gerne hören würde. Kurz eingetippt und schon ist man* wieder weiter, ohne das Angefangene zu Ende zu hören.
Und zu guter Letzt muss ich auch zugeben, dass ich in meiner Jugend einfach mehr Zeit hatte, Musik zu zelebrieren: mich stundenlang in meinem Zimmer einzusperren und mich in neuen oder alten Songs zu verlieren. Zwischen Unistress, Praktikumssuche, Nebenjob und Redaktionsarbeit fehlen mir oftmals Zeit und Energie für diese ausgiebigen Sessions, nach denen mir gerne einmal der Schädel brummte. Auch zwingt mich meine Masterarbeit, die wenige Freizeit (zum Beispiel beim Laufen) nicht mehr für die Exploration eines experimentellen Releases nie veröffentlichter Pink-Floyd-Aufnahmesessions zu verwenden, sondern mir auf Spotify Podcasts zu Sicherheitspolitik anzuhören.
Beitragsbild: Mohammad Metri | Unsplash