Wohnsinn-Kolumne: Über die Kunst der Dreistigkeit
Fassungslos, aber auch ein wenig ehrfürchtig, saßen meine Mitbewohnerin Charlotte und ich uns bei einer Tasse Tee an unserem Küchentisch gegenüber. Das emotionale Barometer lag irgendwo zwischen Lachen und Weinen. Wie haben wir uns nur derart übers Ohr hauen lassen? Sind wir tatsächlich so naiv, unserer Nachbarin überglücklich eine kaputte (!) Waschmaschine abzukaufen, dank Schnäppchen-Preis von 50 Euro, und bemerken diese Tatsache erst drei Monate später?
von Verena Gerbl
Aber zunächst einmal auf Anfang – ziemlich genau drei Monate vor besagtem Zwischenfall. Charlotte und ich schreiten die Treppen in unserem Mehrparteien-Wohnhaus hoch – in freudiger Erwartung einer gut erhaltenen Waschmaschine unserer Nachbarin zum studentenfreundlichen Preis von Sage und Schreibe 50 Euro. Wenig später saßen wir dann auch schon bei ihr zum Plausch am Esstisch in der ansonsten fast komplett leergeräumten Wohnung. Alles stand bereit für ihren Auszug. Für sie sollte ein neuer Lebensabschnitt anbrechen. Ihr deutlich sichtbarer Babybauch ließ baldigen Nachwuchs versprechen. Beim gemeinsamen Schäkern über die Vermieterin und dem üblichen Corona-Gezeter ließen wir uns dann auch noch zum Kauf weiterer Gegenstände, die bereits aussortiert in Umzugskartons lagen, ein: ein Paar Schuhe, ein Wäscheständer, eine Bratpfanne und weitere Küchenutensilien wollten wir gerne abnehmen. Als Dank hatten wir uns im Vorfeld schon ein Geschenk – Schoki für die werdende Mutter sowie ein Plüschtier für ihr Baby – überlegt. Eine Stunde später trotteten wir glücklich die paar Treppenstufen abwärts in unsere Erdgeschosswohnung. Die Waschmaschine würde sie bei Auszug einfach im Keller für uns stehenlassen, damit wir sie direkt verwenden könnten.
Da sowohl Charlotte als auch ich erst Anfang des Jahres in die Wohnung eingezogen sind und aufgrund des Corona-Semesters übers Wochenende meistens in die nicht weit entfernte Heimat gependelt waren, haben wir die neue Waschmaschine tatsächlich erst drei Monate später – die Semesterferien lagen ja auch noch dazwischen – eingeweiht. Aber prompt haben wir gemerkt, dass diese irgendwie nicht waschen möchte. Nach mehreren Telefonaten mit Freunden und Eltern sowie einigen Versuche der vergeblichen Kontaktaufnahme mit unserer ehemaligen Nachbarin, zweifelten wir schon langsam an deren Ehrlichkeit. Sind wir wohl tatsächlich veräppelt worden? Haben wir naiv lächelnd den Eindruck zweier Blödis erweckt, denen man* eine kaputte Waschmaschine andrehen kann? Auf mehrere Whatsapp-Nachrichten reagierte unsere Nachbarin zunächst einmal gar nicht, weswegen unsere Skepsis erwachte und wir uns in immer wildere Spekulationen über ihre Dreistigkeit stürzten. Denn, wer es schafft, eine kaputte Waschmaschine erfolgreich zu verkaufen, und ohne mit der Wimper zu zucken darauf spekuliert, dass der Defekt erst zu spät auffällt, und zwar erst dann, wenn man* die eigene Schuld auf die Käuferinnen abwiegeln kann, dann verdient man* durchaus eine Goldmedaille in der Kunst der Dreistigkeit. So oder so ähnlich stellten wir uns nämlich ihr geschicktes Manöver vor. Gar warfen wir ihr wutschnaubend vor, selbst einfach nur zu faul für die Entsorgung der defekten Waschmaschine zu sein. Und sie dann auch noch den Nachbarinnen für 50 Euro aufschwätzen – aber Hallo!
Das ganze Missverständnis löste sich dann aber doch schneller auf als gedacht: Wir waren tatsächlich zwei Blödis, die einfach vergessen hatten, den Wasserschlauch aufzudrehen. Nicht umsonst wird bei technischen Problemen im IT-Bereich zunächst als Problemansatz vorgeschlagen, die Stromversorgung zu überprüfen: »Haben Sie es schon mal damit probiert, den Stecker richtig einzustecken?« Wir sind eben nicht die einzigen, die an solch elementaren Fähigkeiten scheitern. Tja. Unsere Ex-Nachbarin ist aber auch keine Preisträgerin in Sachen Dreistigkeit. Noch einmal Glück gehabt.
Beitragsbild: Adventures of a Riot Grrrl