»We did it. We did it, Joe.«
*** USA-Wahlspecial ***
Die Vereinigten Staaten von Amerika haben am 3. November gewählt. Nach vier turbulenten Tagen steht nun endlich fest: Joe Biden wird der 46. Präsident der USA und Kamala Harris die neue Vizepräsidentin. Die älteste Demokratie der Welt lebt noch.
von Celina Ford
Wie ich die letzten Tage verbracht habe? Vor dem Computer, ungefähr fünf Tabs gleichzeitig geöffnet, ständig am refreshen. Alternativprogramm: Zwischen CNN, BBC und MSNBC hin- und herzappen. Handy raus, Instagram checken, den Twitter-Feed erneuern. Trotzdem keine Neuigkeiten.
Die letzten Tage fühlten sich wirklich wie eine ins Unendliche gezogene Wahlnacht an. Viele Menschen waren überrascht, dass Joe Biden doch nicht mit einem Erdrutschsieg die Wahl für sich entscheiden konnte: Oh Gott, droht sich hier wohl etwas zu wiederholen?
Das Dauergestarre auf die Karte der USA (vermutlich kann man jetzt schon im Schlaf das viel besprochene Maricopa-County im Bundesstaat Arizona mit dem Finger auf der Karte deuten) brachte Erinnerungen an das Jahr 2016 zurück, als Donald Trump überraschenderweise die US-Wahl gewann. Auch in diesem Wahlkampf färbte sich die Karte wieder gefährlich rot und Trump lag in vielen Bundesstaaten mit gutem Vorsprung vor Joe Biden. Bis die per Briefwahl abgegebenen Stimmen eintrudelten. Biden holte immer weiter auf und die Aufholjagd wurde eine Belastungsprobe für selbst das stärkste Nervenkostüm.
Als der Vorsprung Trumps schrumpfte, rief dieser sich am 4. November prompt selbst zum Sieger aus. Wahlbetrug! Fälschung! Wir verklagen euch alle! Wir ziehen vor den Supreme Court! Obwohl es keinerlei Anzeichen für gefälschte Stimmen oder Fehler bei der Auszählung gab, preschte dieser mit einer selbst für seine Verhältnisse extrem haltlosen Behauptung vor. Noch erschreckender war aber, dass ihm aus dem republikanischen Lager fast niemand widersprach. Die einzigen, die ihm Einhalt geboten und auf die laufende Auszählung der Stimmen verwiesen, waren Republikaner*innen wie der aus Illinois stammende Adam Kinzinger, welche nicht direkt von Trump abhängig sind. Kurioserweise verhielt sich der sonst Trump-treue Sender Fox News erstaunlich diplomatisch und folgte Trumps Rhetorik – bis auf ein paar ultrakonservative Kommentator*innen – nicht.
Die Staaten, die jetzt für die Wahl entscheidend sein würden, waren Georgia, North Carolina, Pennsylvania, Nevada und Arizona. In fast allen Staaten lag Trump mit einem bequemen Vorsprung in Führung, bis Biden durch die Stimmen der Briefwähler*innen stetig aufholte, da diese mehrheitlich von Demokrat*innen, die das Coronavirus tendenziell doch ernster als die Republikaner*innen nehmen, abgeschickt wurden. Trotzdem: Die Auszählung der Stimmen ging so langsam vonstatten, dass man manchmal das Gefühl hatte, dass sich sogar ein Gletscher schneller bewegt. Es schien wie in Stein gemeißelt: Trump hat 213 Wahlmänner und -frauen hinter sich vereinigt, Biden 253.
Doch heute – nach vier anstrengenden Tagen – hat der Wahlkrimi sein Ende gefunden. Um kurz nach 17 Uhr (MEZ) hieß es: Joe Biden hat Pennsylvania gewonnen. Pennsylvania entsendet 20 Wahlmänner und -frauen und verschafft Biden somit 273 Mitglieder des electoral college – drei mehr als benötigt (270 sind zum Sieg notwendig).
Ich habe mich selten in diesem Belasto-Jahr so befreit und erleichtert gefühlt. Nicht nur die USA, sondern auch der Rest der Welt kann nach vier Jahren der Willkür, Irrationalität, Unprofessionalität und Aufregung endlich durchatmen. Und ich will hier auch gar nicht behaupten, dass es ab morgen sofort bergauf geht, die Gesellschaft wieder zusammengeführt und Rassismus passé ist. Doch ich bin jetzt einfach mal so euphorisch (was man meiner Schreibe vielleicht auch anmerkt) und behaupte, dass man diesem Ideal nun doch wieder etwas näher ist, als wenn Trump weitere vier Jahre im Weißen Haus gewonnen hätte.
Besonders freut mich jedoch, dass Kamala Harris nun Vice President-elect ist. Sie ist nicht nur die erste Vizepräsidentin der USA, sondern zudem die erste schwarze Frau mit südasiatischen Wurzeln, die das Amt der Vizepräsidentschaft übernimmt. Und das ist, meiner Meinung nach, all die Euphorie wert.
Ich bin wirklich stolz, dass diese unglaublich wichtige Wahl die erste war, bei der ich wählen konnte (ich habe beide Staatsbürgerschaften). In einer zutiefst bewegenden kurzen Rede sprach der CNN-Kommentator Van Jones unter Tränen genau das an, was so viele Amerikaner*innen mit diesem Wahlergebnis verbinden: Es gibt Hoffnung. Der Hass und die Spaltung müssen nicht weitergehen. Minderheiten und Immigrant*innen müssen sich nicht mehr ungewollt und bedroht fühlen. Junge Mädchen haben mit Kamala Harris ein großes Vorbild gewonnen.
Während der Verkündung des Wahlergebnisses war Trump golfen. Eine Bewältigungsstrategie? Vermutlich. Bisher hat er sich nicht zum Ergebnis geäußert. Man geht wohl eher davon aus, dass er Joe Biden nicht als Sieger anerkennen wird und nun erst mal klagen wird, was das Zeug hält. Man kann nur hoffen, dass es dennoch zu einem friedlichen Machtwechsel im Januar kommen wird.
Joe Biden ist der richtige Mann für den jetzigen Zustand der USA. Aus schmerzlicher Erfahrung weiß er selbst, wie sich Verlust anfühlt. Den Hinterbliebenen der vielen an oder mit dem Coronavirus Verstorbenen kann er eine helfende Hand ausstrecken. Seine politische Erfahrung wird ihm helfen, mit der bis dato schwierig zu regierenden Kongresszusammensetzung Ergebnisse zu erzielen. Allen voran ist Biden jedoch ein Mensch, der mit Ruhe, Empathie und Bescheidenheit hoffentlich eine der größten Krisen der USA lösen wird.
Beitragsbild: © Zeit