Fühlst du auch nichts?
Ein mahnendes Plädoyer an alle Singles da draußen
»Sich zu verlieben bedeutet ja, dass man völlig machtlos ist, ohne Arme und Beine, sozusagen wie Dönerfleisch, dass sich in einer fettigen Imbissbude immer im Kreis dreht, zu nichts fähig außer gegrillt zu werden, hilflos, man kann nichts mehr, man ist einfach eine Art Ort, ein Ort, der einen Wunsch beherbergt, einen einzigen Wunsch, und zwar, [jemandem] nah zu sein.«
Liv Strömquist in »Ich fühl`s nicht«
Ein Text über die Liebe. Oder eher ein Text über das Fehlen der Liebe. Über die Unfähigkeit der Generation Y, sich ganz, klipp und klar und ehrlich zu verlieben.
von Paula Boden
Sätze wie: »Gegensätze ziehen sich an. Jeder Topf hat einen Deckel. Erst wenn du dich selbst liebst, kannst du geliebt werden.« Wir haben sie alle schon gehört. Und da glaubt man lange dran. Das Hoffen ist groß, man liebt sich selbst bis zum Erdrücken und bei neuen Bekanntschaften, denkt sich ein kleiner Teil in uns vielleicht: »Oh, vielleicht ist hier ja doch irgendwo die komplette Andersartigkeit, auf die man doch zu warten hat? «
Aber unsere Generation der Bevölkerungskohorte Y ist verkorkst. Frauen und Männer und divers. Das Statistische Bundesamt gab für das Jahr 2019 an, dass es allein in Deutschland um die 17 Millionen Singlehaushalte gibt. Damit lebt jeder fünfte Mensch alleine. Hier sind die WGs und Studentenwohnheime noch nicht mal mit verrechnet. Wir entwickeln uns also zu einer Generation von EinzelgängerInnen. Jeder ist für sich. Man will ja bloß niemandem auf den Schlips treten. Bloß niemandem zur Last fallen. Wir müssen uns ja erstmal selbst lieben.
Nicht nur der Kapitalismus oder die Globalisierungsströmungen sind schuld daran. Auch und vor allem unsere wechselhaften Geschlechterrollen. Oder vielmehr: das Verschwimmen der Grenzen. Mit dem Aufweichen der traditionellen Rollenbilder erlangten Frauen mehr Freiheit und Autonomie. Zum Glück. Vom Raum des Privaten traten sie über in die Öffentlichkeit. Sie fingen an, entgeltlich zu arbeiten. Sie studierten und praktizierten die gleichen Berufe wie ihre Gegenspieler: die Männer.
Männlich — männlicher — am männlichsten : uncool
Damit wurde das typisch Männliche irgendwie uncool. Wer sich heute (in unserer privilegierten StudentInnen-Bubble) noch als Alleinverdiener darstellt und damit prahlt, bald ein Einfamilienhaus zu kaufen, einen hohen Kredit aufzunehmen und vorhat, die eigene Frau an den Herd zu stellen, ist nicht der Boss, sondern der weirde Kommilitone aus dem Hinterland. Dabei war das einst das Sinnbild für wahres männliches Können: »Während Männlichkeit im 19. Jahrhundert durch emotionale Standhaftigkeit und die nahezu ostentative Zurschaustellung der Fähigkeit des Mannes, Versprechen zu machen und zu halten, zum Ausdruck gebracht wurde, äußert sich die moderne Männlichkeit eher in einer emotionalen Verweigerung als darin, Gefühle unter Beweis zu stellen.« (Liv Strömquist)
Und da wären wir beim Thema: Die zugewiesenen Rollen der Geschlechter sind verschwommen, nicht mehr da. Für Frauen einer gewissen gesellschaftlichen Schicht gibt es mittlerweile fast schon mehr mögliche Lebensmodelle, die gesellschaftlich akzeptiert werden. Wir dürfen Abitur machen, studieren oder eine Ausbildung machen. Ob wir dann direkt arbeiten, einen Doktortitel verfolgen, oder doch gleich schwanger werden, ist ganz und gar uns überlassen. [Hier wird natürlich alles übereinander geschmissen und wie wild verallgemeinert. Die tausend wichtigen Mini-Distinktionen finden hier kaum Platz . Denken wir sie uns dazu!]
Und natürlich leiden Frauen immer noch unter wahnsinniger Ungleichbehandlung gegenüber dem männlichen Geschlecht. Und natürlich sind sowohl die Gender-Pay-Gap als auch sexuelle Belästigung oder #metoo nicht wegzudenken.
Aber darum soll es hier nicht gehen. Auch den Männern unserer Generation darf und muss mal Raum gegeben werden. Die haben es nämlich auch nicht immer leicht. Gerade in unserer heutigen Zeit. Die traditionellen Konstrukte haben sich also aufgelöst. Der Mann ist nicht mehr der Chef zu Hause, sondern nimmt auch ab und an mal Elternzeit. Ein Anfang 20-Jähriger muss sich heute keine Gedanken mehr machen, ein zukünftiges Haus alleine abzubezahlen. Sondern er darf mit einer Partnerin rechnen, die auch Geld verdient. Er lernt, zu kochen und seine Wäsche alleine zu waschen (zumindest im Idealfall).
Eigentlich klingt das ja alles nach Fortschritt und einem durch und durch positiven Weltbild. Frauen und Männer auf Gleichschritt, zumindest unterwegs in die gleiche Richtung. Während aber der Raum der Frau erweitert wird und Selbstverwirklichung ganz großgeschrieben scheint, verkleinert sich das Bild des Mannes. Vielmehr existiert das kaum mehr. Klar gilt der Waschbrettbauch und laszive Blick als das Non-Plus-Ultra. Als das, was alle Frauen oder auch Männer begehren. Aber wie so oft im Leben, ist Aussehen nun mal nicht alles. Man munkelt ja, Charakter soll auch charmant sein.
»Die Männer übertrugen also die Kontrolle, die sie zuvor im Haushalt innegehabt hatten, auf Geschlechtlichkeit und Sexualität, was letztere in jene Sphäre verwandelte, in der sie ihre Autorität und Autonomie ausleben und zum Ausdruck bringen konnten.« Das sagt Liv Strömquist, Comic-Autorin von »Ich fühl`s nicht«. Sie macht sich genau die Gedanken, wie so viele andere junge Menschen unserer Generation: Wieso fühlen wir kaum mehr? Woran liegt es, dass sich Bekanntschaften entwickeln und nach einem merkwürdig ähnlichen Muster wieder lösen?
Bitte einmal die doppelte Portion emotionale Distanz
Strömquist behauptet, Männer hätten ihre »Urmmännlichkeit« auf die Ebene der Sexualität übertragen. Damit sie wenigstens in einem Tätigkeitsfeld dieser Welt noch die Überhand beibehielten. [Auch hier wieder: maßlose Übertreibung und klare Verallgemeinerung!] Männer wissen: »Nice, wir haben so viel Zeit. Ätsch an euch Frauen – wir lehnen uns zurück, finden eh immer wieder eine Neue und machen zusätzlich noch Karriere. Bis wir dann so mit Mitte Ende 30 auch mal an Familie denken.« Da hat das männliche Geschlecht einen wahren Vorteil. Und hat diesen Vorsprung auch klar erkannt. Wozu braucht es also Gefühle? Zwar ist es große Klasse, dass uns Frauen auch die Welt offensteht, wir das Mögliche nutzen dürfen. Trotzdem begrenzt uns die Biologie. Und die menschlich-kulturelle Geschichte hat sich so bewegt, dass Männer ihre Überlegenheit in der Sexualität leben (können). Emotionale Distanz und bloß keine Bindung.
Man schläft zwar miteinander, über Monate. Man redet viel, die ganze Nacht lang. Man teilt Erlebnisse und Geschichten. Man erzählt sich Geheimes und baut eine zwischenmenschliche Bindung zueinander auf. Am Ende ist es sogar exklusiv, aber eine Beziehung wird es nicht. Das Betiteln fällt schwer. Das ist eine Hürde, die kaum überwunden wird. Das geht nicht nur Männern so. Wir Frauen sind da oft nicht viel besser. Aber Strömquist ist, unter Bezug auf die Soziologin Eva Illouz , der Meinung, dass »Frauen also ihr Begehren verschweigen [müssen] und die Distanziertheit der Männer und ihren Drang nach Autonomie imitieren.«
Keine Sorge, das zwischen uns ist alles ganz unverbindlich!
Die aktuelle Lebenseinstellung, die gerade unter uns jungen Frauen allgegenwärtig ist und geteilt wird, lautet Abenteuer. Eventuell wechselnde Sexualpartner, sich dann zwar gegenseitig toll finden, sich angezogen fühlen, körperlich und geistig, aber dabei groß geschrieben: alles ganz UNVERBINDLICH. Und dabei bleibt es meist auch. Denn entweder wird von Vornherein klar kommuniziert, um was es sich beim Miteinander handelt. Oder (falls es zu kompliziert sein sollte) wird das Ganze frühzeitig beendet. Natürlich, bevor es zu Verletzungen kommt. Oder der/die Andere am Ende noch Hoffnungen entwickelt. Wäre ja sinnlos. Das sollte man möglichst vorbeugen.
»Man muss aber nicht Sigmund Freud sein, um zu verstehen, dass die einzige Art, wie man mit jemandem zusammen sein und eine echte zwischenmenschliche Beziehung haben kann, ist, indem man dieser Person gegenüber ehrlich ist – was bedeutet, dass all diese Ratschläge die Chance auf wahre Liebe unterminieren (und zwar für beide Seiten).« (Liv Strömquist)
Auch wenn wir uns tief in uns so sicher sind, dass wir bloß nichts Festes wollen – es ist eh immer der falsche Zeitpunkt, man ist ja eh bald wieder in einer anderen Stadt, dann blinkt auch wieder eine neue Nachricht auf Bumble oder Tinder auf, und der Typ von der Reise damals hat sich ja auch wieder gemeldet – scheint diese Sicherheit eine klare Illusion zu sein. [Wieder nicht allgemein gültig! Natürlich!]
Eigentlich also imitieren Frauen die emotionale Distanziertheit der Männer, denn nur diejenige, die emotional am unerreichbarsten scheint, ist interessant und gewinnt. Sie ist auch am unkompliziertesten. Wie angenehm. Denn es geht unserer Generation, m/w/d, ja eh vorrangig um die eigene Selbstverwirklichung. Uns geht es nur um uns. Wir wollen zwischenmenschlichen Umgang, der möglichst einfach ist. Wir sind so sehr mit uns selbst beschäftigt. Das ist zeitaufwendig. Und wir alle sind auch für uns allein schon kompliziert genug, verstrickt und verkopft. Das kann und will man ja niemandem aufbürden. Wäre ja eine Frechheit. Man sollte erstmal mit sich selbst klarkommen, bevor man sich auch nur einen Millimeter öffnet – gerade in emotionaler Hinsicht. Du sollst dich ja sowieso erstmal selbst lieben, sagt man doch so?
Trotzdem ist Alleinsein auch scheiße. Gerade wenn der Winter an die Tür klopft. Dann will man doch jemanden zum Kuscheln, oder noch einfacher: zum Sex. Kuscheln ist schon wieder mit zu viel Nähe und Emotion verknüpft. Also suchen wir nach jemandem. Legen uns ein Bumble-Profil an. Swipen fast nie nach rechts, denn unsere Ansprüche werden quasi nie erfüllt. Warum denn nicht? Wir wollen doch bloß jemanden, der sympathisch wirkt (… und vegetarisch isst, häufig Sport macht, am besten noch die gleiche Musik hört und dazu noch praktischerweise unseren Humor teilt), also kaum hohe Ansprüche. Oder?
Auf der Suche nach dem Anderssein
Im Grunde ist das große Defizit unserer Generation, dass die Suche nach dem Anderssein aufgehört hat. Wir suchen nach etwas Unverbindlichem. Legen das auch schon in unseren Profilen an. Die einen meinen es so. Die anderen wissen, das kommt gut an. Wir suchen nicht mehr nach der Andersheit im Gegenüber, das erfordert Energie und Geduld. Und die wollten wir doch erst in so circa zwei bis drei Jahren investieren. Oder erst dann, wenn wir fertig sind mit Studieren, gearbeitet haben und dann ganz langsam und entspannt ans Kinderkriegen denken.
Deshalb suchen wir nach den Spiegeln unserer Selbst. Wir suchen nach uns in dem Anderen. Wir sind eine Generation durchzogen von einem krassen Narzissmus. Wir wollen niemandem zur Last fallen, sind dabei aber die größte Last für uns selbst und damit für unsere Gesellschaft und Zukunft. Der Fokus auf unser Sein ist mittlerweile so groß, dass wir vergessen im Team zu leben, im Miteinander stärker zu sein.
Dabei ist die Liebe doch so wichtig. Sie ist so verdammt angsteinflößend, aber macht die Welt zu einem besseren oder vielmehr ertragbareren Ort. Vielleicht wachen wir jetzt auf. Vielleicht nimmst du dir die Idee der verfügbaren Gefühle mal zu Herzen und teilst sie mit deinem Gegenüber. Denn in einer fortwährend bewegten Welt sollten wir auch ab und zu mal innehalten und stehen bleiben. Vielleicht erkennen wir dann im Gegenüber die langerwartete Andersheit, verlieben uns und sinnieren nicht mehr nur über unser eigenes Selbst. Meine Güte, auf die Dauer sind wir allein doch auch echt öde! Vielleicht hören wir endlich auf, geliebt werden zu wollen und fangen damit an zu lieben.
Zum Schluss noch ein Geheimnis: Gefühle zulassen, wahrhaben und dann noch formulieren, ist ungeheuer riskant und mutig. Aber vor allem ist es eins: so cool und so männlich! [Natürlich auch verdammt weiblich und divers.]
Leseempfehlung an alle LeserInnen: Liv Strömquist: »Ich fühl`s nicht«, avant-Verlag, 2019
Beitragsbild: ©Shane Rounce |Unsplash