Von Gegensätzen und Gemeinsamkeiten
Grell, bunt, laut, schräg. Nein, liebe Leser*innen, es ist nicht die Rede von dem aus privaten Fernsehsendern nicht wegzudenkende, lebenden Strasssteinchen Harald Glööckner. Es handelt sich auch nicht um die modisch fragwürdige Krawattenwahl eines bestimmten AfD-Schreihalses. Grell, bunt, laut, schräg – so könnte man womöglich das Sprachkonzert »Aus der Mitte der Gesellschaft« von Marc Becker beschreiben. Aber es ist noch so viel mehr.
von Anna-Lena Brunner
Mitreißend zum Beispiel. Aber auch lustig, traurig, nachdenklich und vor allem eins: messerscharf in seiner Betrachtung der Durchschnittsgesellschaft. Aber zuerst einmal auf Anfang. Meine privilegierte, bildungsbürgertümliche Wenigkeit hat sich wieder einmal der anstrengenden Aufgabe gegenüber gesehen, eine zerstreuende, freitägliche Abendunterhaltung auszuwählen. Und weil frau ja so individuell ist, hat sie sich dazu bequemt, mit hochgezogenen Augenbrauen und arrogant skeptischem Blick der Premierenvorstellung des Stückes »Aus der Mitte der Gesellschaft« am 02. Oktober 2020 im Theater am Haidplatz beizuwohnen. Besagtes Stück ließ erwähnte Augenbrauen dann aber in emotionaler Verwirrung zusammenziehen und erwähnten Blick ertappt zu Boden wenden.
Man/frau merkt vielleicht, dass ich es ein wenig hinauszögere, konkret zu werden. Denn dieses Stück hat mir meine alltäglich benutzten Worte aus dem Mund genommen und sie in Form von Singeinlagen, dadaistischen Lauten und witzigen Wortspielen auf die Bühne gebracht. Und ich ringe immer noch mit mir, diese Worte wiederzufinden, um meinen Eindruck gegenüber diesem Stück aufs Papier zu bringen. Im Folgenden also der Versuch:
»Aus der Mitte der Gesellschaft« hält uns allen einen Spiegel vor. Denn wir sind alle ein Teil davon. Die »Mitte der Gesellschaft« das sind wir, die 1,37 Kinder der Durchschnittsverdiener*innen, die Laminatverleger*innen und die schweigende Mehrheit. Es geht um Themen, die diese Mitte bewegen, aber dann auch wieder doch nicht genug, um lauter zu werden. Klimawandel, Wirtschaftskrisen, Populismus, Selbstoptimierung – und Angst. Die Angst aus genau eben dieser Mitte herauszufallen, nicht zu genügen und zu verschwinden in etwas, das unterhalb der Mitte liegt. Und ich glaube, das ist der Kern des Stückes. Es veranschaulicht die Angst, die Panik jedes*r einzelnen von uns, in dieser übertechnologisierten, übervernetzten Welt nicht den Anschluss zu verlieren. Laut und leise, schrill und ruhig, subtil und direkt verdeutlich »Aus der Mitte der Gesellschaft« ein Lebensgefühl, das womöglich bezeichnend ist für die Anfänge des 21. Jahrhundert.
Die Inszenierung (Klaus Klusenberg) schreit einem das manchmal förmlich ins Gesicht und manchmal auch nicht. Die Schauspieler*innen sind laut und nachdenklich, überdreht und melancholisch. Diese Bandbreite an Emotionen wird vom Ensemble (Marlene Hoffmann, David Markandeya Campling, Michael Heuberger, Thomas Weber) übrigens auf virtuose Weise zum Besten gegeben! Man sitzt wie gebannt vor der Bühne und wird hin und wieder aus seiner Trance geweckt, wenn individuelle Träume und Realitäten der Durchschnittsgesellschaft – die dann leider doch gar nicht so individuell sind – durch schräge Sprechgesänge vorgeführt werden.
Wodurch mir das Stück definitiv noch lange im Gedächtnis bleiben wird, ist das außergewöhnliche Bühnenbild. Die Uniformität der »Mitte der Gesellschaft« wird gleich zu Beginn deutlich, da sowohl die Outfits der Schauspieler*innen, als auch das komplette Bühnenbild an sich in der Primärfarbe gelb gehalten ist. Geblendet also vom grellen Licht des Neongelbs wird der*die Zuschauer*in sofort hineingezogen in die »Mitte der Gesellschaft« (wenn er*sie noch nicht längst drinnen ist). Ansonsten wurde das Bühnenbild sehr schlicht gehalten, allerdings immer im Wechsel greller, lauter Farben, wie orange, rot und blau. Auch hier tritt wieder ein Gegensatz hervor, der meiner Ansicht nach diese zentrale, akute, aber nur unterschwellig existenzielle Angst der Durchschnittsbürger*innen exemplifiziert.
Es ist schon erstaunlich, dass Marc Becker das Theaterstück »Aus der Mitte der Gesellschaft« vor genau zehn Jahren verfasst hat. In seiner gesellschaftlichen Analyse ist es aktueller denn je und man/frau fühlt sich ertappt bei so manchen lakonischen Äußerungen, die man/frau (zumindest meiner eigenen Einschätzung nach) alltäglich und ohne groß zu überlegen von sich gibt.
Jede*r denkt doch von sich selber, er*sie sei einzigartig. Und auf gewisse Weise sind wir das vielleicht auch. Aber nach dem Anschauen von »Aus der Mitte der Gesellschaft« glaube ich, dass uns mehr verbindet als wir denken. Ob das jetzt etwas Gutes ist, sei mal dahingestellt. Wir haben halt alle meistens die gleichen Träume, Ziele und alltäglichen Probleme. Außer Harald Glööckler. Der glitzert schon sehr individuell vor sich hin.
Karten gibt’s natürlich wie immer auf der Webseite des Theater Regensburg. Anschauen lohnt sich!
Beitragsbild: Die Mitte der Gesellschaft – hier unisono in der Farbe gelb. ©Jochen Quast