Wohnsinn-Kolumne: Taubenwahnsinn
Es ist Wahnsinn, wenn man eines Morgens zwei Taubeneier inklusive Nest auf dem eigenen Balkon vorfindet. Von Wohnsinn kann man aber erst sprechen, wenn das ganze soweit führt, dass man den brütenden Taubeneltern liebevolle Namen gibt und man beim Schlüpfen zweier Taubenbabys durch das Fenster der Balkontür mitfiebert, während man gegen Tränen der Rührung ankämpft.
von Verena Gerbl
Aber zunächst einmal auf Anfang: Das ganze Szenario ereignete sich nämlich schon vor mittlerweile einem Jahr. Wie am Vorabend ausgemacht, machte ich mich damals mit Kaffeekanne ausgerüstet frühmorgens auf den Weg zum Apartment meiner Freundin Lisa, die glücklicherweise im Haus direkt gegenüber desselben Wohnheims wohnte. Wir hatten es uns in diesem Semester zur Tradition gemacht, die ersten Frühlingsstrahlen beim gemeinsamen Frühstück auszukosten. Was wir diesen besagten Morgen beim Betreten des Balkons entdeckten, brachte uns aber ziemlich aus dem Konzept: Im Eck des Balkons lagen auf drei dünnen Ästen thronend zwei etwas zu groß geratene Hühnereier.
Während wir noch fassungslos auf die Hinterlassenschaften einer Taubenmutter blickten, flatterte diese bereits bestürzt über unseren unerwarteten Besuch herbei, setzte sich auf das Balkongeländer und versuchte uns mit einem Blick, der von Mordlust zeugte, wegzuekeln. Kurz darauf diskutierten wir bereits, wie denn nun vorzugehen sei, um sich möglichst tierfreundlich von den unliebsamen Untermietern zu befreien, als auch schon der etwas größer geratene Taubenpapa – mit einem ähnlich vorwurfsvollen Blick wie zuvor die Mama – angeflogen kam.
Bestürzt und mit der Gesamtsituation überfordert zogen wir uns daraufhin in Lisas Zimmer zurück, um aus angemessener Distanz das weitere Geschehen in Ruhe beobachten zu können. Mit Sicherheitsabstand sah die ganze Angelegenheit dann aber plötzlich gar nicht mehr so bedrohlich aus. Wir wurden Zeuginnen, wie sich Taubenmama und -Papa abwechselten, um die Eier zu brüten und ordentlich Futter für das jeweils brütende Elternteil heranzuschaffen. Irgendwie ganz schön putzig. Mit großen »Ooohs« und »Aaaahs« verliebten wir uns in die werdende Familie, weswegen an Beiseiteschaffen nicht mehr zu denken mehr war!
Die darauffolgenden Wochen erwischte ich mich sogar dabei, wie ich nach immer neuen Gründe suchte, um nicht nur meiner Freundin Lisa, sondern auch der Taubenfamilie einen kurzen Besuch abzustatten. Taubenmama Chanty und Taubenpapa John Pitt kümmerten sich rührend um die zwei Vogeleier. Die Gespräche der weiteren Frühstücksverabredungen drehten sich fast ausschließlich darum, geeignete Namen für die wohl hoffentlich bald schlüpfenden Taubenbabys zu finden.
Und schon Tage später war es soweit: Beim gemeinsamen Frühstück – die Taubeneltern hatten sich ohnehin schon mit unserer Anwesenheit arrangiert – hörten wir es aus Richtung der Balkonecke knacken. Mit freudiger Erwartung konnten wir unter den Flügeln von Taubenmama Chanty ein angebrochenes Ei erspähen. Nachdem unser Adrenalin-Spiegel schlagartig in die Höhe geschnellt war, beschlossen wir, den Taubeneltern Chanty und John Pitt ein wenig Privatsphäre zu schenken, weswegen wir uns in Lisas Zimmer zurückzogen. Von Innen konnten wir aber ungehindert weiter das Wunder der Geburt, welche uns emotional doch stärker als gedacht mitnahm, beobachten.
Nach beinahe zwei Stunden saßen dann zwei etwas zerfledderte, gelbe und eher unansehnliche Küken auf Lisas Balkon. Vollkommen entzückt entschieden wir uns schon bald für die Namen Livy und Columba. Da das ganze nun wie gesagt aber schon über ein Jahr her ist, kann ich leider nicht mehr unsere Beweggründe für diese Namensgebung rekonstruieren. Als die beiden Taubenbabys nach Tagen der Fütterung und rasantem Wachstum dann soweit herangewachsen waren, um selbst fliegen zu lernen, überkam uns sogar eine Welle der Wehmut. Wenige Tage später war dann nämlich das Nest auch wieder leer und die vier Familienmitglieder von Dannen gezogen.
Trotz allem Schrecken über die ungebetenen Gäste erinnere ich mich immer wieder gerne zurück an diese verrückten Wochen – wie man wohl auch an diesem Artikel ganz gut erkennen kann.
Wer sich selbst vor brütenden Tauben auf dem eigenen Balkon schützen möchte, dem kann ich als Tipp weitergeben, sich alte CDs an einer Schnur hängend aufzuspannen, da das Tauben im Allgemeinen abschreckt. Seitdem meine Freundin Lisa so vorgeht, kommen auch bei ihr keine neuen Vogelgäste inklusive Hinterlassenschaften mehr vorbei.
Nächste Woche erzählt dann wieder Anna-Lena von Ihrem Wohnsinn.