Der Streit um die Religionen: „Nathan“ am Theater Regensburg

Der Streit um die Religionen: „Nathan“ am Theater Regensburg

Der Herbst ist da – und damit auch neue Stücke am Theater Regensburg! Und was hilft da besser als alte Theaterkunst auf der Bühne zu sehen? Cilli Drexel hat sich mit Constantin Küsperts Neuinterpretation von Lessings »Nathan der Weise« befasst und auf die Bühne des Velodroms gebracht.

von Yvonne Mikschl

Man möchte fast meinen, dass Abstandsregelungen und Maskenpflicht die Leute vom Theaterbesuch abhalten würden. Dass dem nicht so ist, bewiesen die BesucherInnen des Velodroms, als das Theater Regensburg zur Uraufführung von »Nathan der Weise« am vergangenen Freitag einlud. Die Premiere war gut besucht – zumindest erweckten die entzogenen Sitzreihen und die in Gruppen zusammengefassten Plätze diesen Eindruck. So können die geltenden Abstandsregeln auch für folgende Vorstellungen eingehalten werden, was zur Folge hat, dass nach Vorstellungsbeginn auch die Mund-Nasen-Bedeckung fallen darf. 

Um was geht’s?

Gotthold Ephraim Lessing (Michael Haake) ist mehr als nur etwas verzweifelt. Als ob es ihm nicht schon reichen würde, dass Frau und Kind gestorben sind, bekommt er nun beruflichen Ärger mit dem Hamburger Hauptpastor Goeze aufgrund von Glaubensstreitigkeiten. Das kann Lessing als begnadeter Schriftsteller nicht auf sich sitzen lassen und verfasst ein letztes Werk, um unter anderem seinen Standpunkt deutlich zu machen. Und so entstand sein Werk »Nathan der Weise«.

Nathan (Gerhard Herrmann) kehrt von einer Geschäftsreise zurück und erfährt von seiner Gesellschafterin Daja (Franziska Sörensen), dass Nathans Tochter Recha (Zelal Kapçık) von einem Tempelherrn (Kristóf Gellén) aus einem brennenden Haus gerettet wurde. Nathan, voller Dankbarkeit, versucht, den Mann, den seine Tochter für einen von Gott geschickten Engel hält, ausfindig zu machen, um ihn zu belohnen. Indes ist Sultan Saladin (trotz Verletzung gespielt von Guido Wachter) in Geldnöten. Doch wie bringt man nun einen reichen Juden wie Nathan dazu, etwas von seinem Geld abzugeben? Und was hat das mit der Frage nach der wahren Religion zu tun?

Nathan (Gerhard Hermann, Mitte), der Sultan (Guido Wachter, rechts) und die Frage nach der wahren Religion (mit Franziska Sörensen, Philipp Quest, Verena Maria Bauer, Michael Haake). ©Jochen Quast

Vom Drama zur Komödie

Vielleicht war es keine Absicht von Theaterautor Konstantin Küspert, das Drama in eine Komödie zu verwandeln. Doch genau das ist ihm mit der Einführung Lessings als Figur gelungen. Anstatt von der Bildfläche zu verschwinden, bleibt dieser auf der Bühne und kommentiert fast alles. Darüber hinaus muss er auch noch mit seinen eigenen Figuren über deren Darstellungsweise diskutieren. Denn warum müssen Frauen immer nur im Hintergrund mitlaufen und warum heißt es nicht Recha die Weise? Ist nicht hier und da der Wortgebrauch etwas rassistisch, rutschen ihm nicht manchmal die Figuren in Klischees ab? Und warum muss unbedingt im Dialekt gesprochen werden? Fragen, die Lessing irgendwann zu viel werden. Und das ist es, was Küspert in der Bearbeitung geschafft hat: einen Klassiker der deutschen Literatur in die Moderne zu transportieren, ihn somit aktueller denn je zu machen und gleichzeitig das Theater in seinen Grundzügen zu hinterfragen.

Theaterarbeit in Zeiten von Corona

Nicht nur die Bearbeitung eines 242 Jahre alten Stoffs machte die Arbeit der Theatergruppe schwierig. Die Proben fielen in die Zeit der Corona-Pandemie, was eine Reduktion des Publikums und Abstandsregeln auf der Bühne zur Folge hat. Cilli Drexel, Regisseurin des Stücks, verrät im Interview mit Dramaturgin Saskia Zinsser-Krys, dass eine große Flexibilität nötig war: »Geplant war ursprünglich, dass es mehrere Kleiderstangen auf der Bühne gibt und jede Figur darin herumwühlt und sich immer sucht, was für die Szene oder die Haltung gerade passend erscheint. Das durften wir leider nicht umsetzen, weil alles, was einmal angefasst wurde auf der Bühne, sogleich desinfiziert werden muss.« Dies ist auch der Grund, warum man anfangs Lessing mit Desinfektionstuch auf der Bühne sieht. Es gebe aber auch Auswirkungen auf das Stück selbst, was die eingeschränkte Spielzeit ohne Pause betrifft: »Alle haben sich darauf eingelassen, dass wir bis zum Schluss suchen und umstellen und streichen und schieben müssen. So ist das manchmal«, so Drexel weiter. Trotz der Kürzungen bleibt die Handlung erhalten, weswegen die ZuschauerInnen auch nicht auf die berühmte Ringparabel im dritten Akt verzichten müssen.

Parallelen zu anderem Stück erkennbar

Fest steht: Der Text und die Thematik passen wie die sprichwörtliche Faust aufs Auge in die heutige Zeit. Die Corona-Pandemie 2020 überschattet Jahrtausende alte Problematiken wie den Glaubenskrieg im Nahen und Mittleren Osten und die durch den Tod von George Floyd aufgeheizte Rassismusdebatte in den USA – nicht zu vergessen der Aufstieg rechtspopulistischer Parteien seit der Flüchtlingskrise 2015. In allen Fällen spielt Religion nur bedingt eine Rolle. Man wird diesbezüglich an J. T. Rogers »Oslo« denken, das 2019 Premiere im Velodrom feierte. Es sind nicht nur die SchauspielerInnen, die die Parallelen hervorrufen. Sowohl in »Nathan«, als auch »Oslo – Mission für den Frieden« wird die Frage nach der Sinnhaftigkeit von Religionskriegen gestellt und in beiden Stücken werden deutlich Gemeinsamkeiten zwischen den Religionen herauskristallisiert. Die Botschaft ist in beiden klar: Menschen, so unterschiedlich ihr Glauben auch sein mag, sind in ihrer Eigenschaft als Mensch vereint. Oder um es in Lessings letztem Satz zu verdeutlichen: »Hier geht es um Machtpolitik, nicht um Glaubensfragen.«

Fazit

»Nathan« ist ein Stück, das trotz Corona einen schönen Abend bereiten kann. Konstantin Küspert ist es gelungen, Lessings Werk in die Neuzeit zu bringen, ohne die Grundhandlung oder Grundfragen zu vernachlässigen. Besonders in Zeiten von Rassismus und Glaubenskriegen stellt die Inszenierung eines ganz besonders heraus: Die Diskussion um den einzig wahren Gott ist eine Frage von Machtpolitik, keine Frage der Religion.

Karten für das Stück gibt es wie immer auf der Website des Theaters Regensburg.

Beitragsbild: Der Autor als handelnde Figur: G. E. Lessing (Michael Haake) ©Jochen Quast

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