Lautstark-Kolumne: Ein Klassiker für laue Sommernächte
Obwohl langsam die Zeit vorbei ist, in der man die halbe Nacht draußen am Lagerfeuer sitzen kann, möchte ich Euch diese Woche ein Album vorstellen, bei dem man es vielleicht doch noch ein bisschen länger ohne Frösteln aushält. Mit seinen immerhin auch schon 28 Jahren würde ich Harvest Moon von Neil Young als einen Klassiker bezeichnen. Ein Klassiker, der dennoch überraschen kann.
von Lotte Nachtmann
Vor kurzem lagen mir beim Radeln durch Regensburg spontan die ersten Zeilen von »Unkown Legend« auf den Lippen:
»She used to work in a diner | Never saw a woman look finer«
Ich erinnerte mich daran, wie ich das Album, zu dem dieser Song gehört, immer mit meiner Mama im Auto gehört habe, wenn sie mich früher von der Schule abholte. Über Wochen hörten wir immer die gleiche CD im Autoradio unseres alten Golfs, der inzwischen das Zeitliche gesegnet hat. Und wir kamen auf dem Weg von der Schule heim immer bis zum gleichen Song, und zwar »Old King«. Ein eigentlich ziemlich schrecklicher Country-Folk-Song, der alle Klischees dieses Genres bedient, und in dem ein verstorbener Hund besungen wird. Umso akustisch schwieriger machte ihn die Tatsache, dass er ein absolutes Kontrastprogramm zu den langsamen, ruhigen und verträumten Balladen davor darstellt. Vielleicht muss ich dazu schreiben, dass wir im Auto eine etwas krude zusammengemixte Kopie von Harvest Moon hörten und ich heute immer noch verwirrt bin, wenn ich das Album in »richtiger« Reihenfolge höre. Kennt Ihr das auch? Wenn Song XY zu Ende ist, freut man sich schon auf Song YZ und ist verdammt angepisst, wenn der dann nicht kommt. Vermutlich bin ich deshalb auch noch nie Fan vom Shufflemodus gewesen.
Junge starke Frauen auf Harley Davidsons
Zurück aber zu Neil Young und seinem Hund. Trotz des Kitschs liebten meine Mama und ich diesen Song mit seinem eingängigen Refrain, den man einfach mitsingen muss, vor allem, wenn die Schule endlich aus ist. Viel interessanter als »Old King« sind aber wirklich besagte Balladen, die einen nicht des Albumtitels wegen an Spätsommerabende am Lagerfeuer erinnern, sondern durchweg vor sich hin träumen lassen. Stilistisch lässt sich Harvest Moon tatsächlich am besten als Folk-Rock oder Country-Rock einordnen. Ein Genre, bei dem vor ein paar Jahren viele vermutlich entsetzt protestiert hätten, wenn man es irgendwo aufgelegt hätte, weil man endgültig keinen Bock mehr auf Bob Dylan hatte. Dank Mumford&Sons und Co. ist Folkrock aber ja glücklicherweise wieder massentauglich und Neil Young daher auch längst noch kein Schnee von gestern.
Ein Klassiker ist Harvest Moon trotzdem. Und dennoch bin ich bei genauerem Hinhören immer wieder sehr erstaunt über seine Modernität, zumindest was die Lyrics angeht. Ein Titel wie »Dreamin‘ Man« lässt es nicht vermuten, aber in vielen von Youngs Songs geht es um junge starke Frauen, die sich durch die Widrigkeiten des Lebens nicht beirren lassen und mit ihrer Natürlichkeit und Alltagsbewältigung den Singenden umhauen. Sei es die »Natural Beauty« oder die »Unkown Legend«, die alleine ist mit zwei Kindern und ihrer Harley Davidson ist. Vielleicht ein etwas stereotypes und romantisches Bild von starken Frauen, aber Anfang der Neunziger immerhin doch ein gutes Zeichen. Ich zumindest nehme mir die Frauen in Youngs Songs zum Vorbild. Vielleicht haben meine Mama und ich damals im Auto auch schon unterbewusst das gleiche Thema rausgehört.
Und um mit noch ein bisschen mehr Kitsch abzuschließen: Harvest Moon enthält auch einer der meiner Meinung nach schönsten Liebeslieder. »Such a Woman« kommt nämlich ganz ohne »Baby«, »my girl« und »you are mine«-Floskeln aus, die objektiv betrachtet die Frau eigentlich zum Eigentum des Mannes erniedrigen. »Such a Woman« spricht hingegen von ganz ehrlicher, bedingungsloser Liebe, die auch einen Country-Sänger wie Neil Young aus den Socken haut.
Und hier noch meine Highlights von Harvest Moon:
Beitragsbild: ©Rolling Stone