Wohnsinn Kolumne: »Komm schon Kinderzimmer!«
Diese neue, virusbedingte Realität, die einem manchmal vorkommt, als sei sie direkt einem Sci-Fi-Pandemie-Zombie-Film entsprungen, stellt uns ja alle vor besondere Herausforderungen. Und so trug es sich zu, dass eine meiner ganz persönlichen Herausforderungen darin bestand, wieder zurück zu mir in die Heimat, genauer gesagt in mein altes Kinderzimmer bei meinen Eltern zu ziehen. Wie das ohne Mord und Totschlag gelang, lest selbst!
von Anna-Lena Brunner
An die Anfangsmonate von diesem gelinde gesagt eher durchwachsenen Jahr 2020 erinnern wir uns sicherlich alle. Anfang Februar blickte man noch etwas nervös in Richtung asiatischer Gefilde und bemitleidete als hochnäsige*r Mitteleuropäer*in im Unwissen über die Zukunft alle Staaten ohne funktionierendes Gesundheitssystem. Man tat auch ohne Zugehörigkeit zu alubehüteten Verschwörungstheoretiker*innen den neuartigen SARS-CoV-2-Erreger als nichts anderes als eine etwas aufregendere Grippe ab und lebte weiter. Dann im März spitzte sich die Lage zu. Nach und nach drang ins Bewusstsein, dass sich unser Alltag bald grundlegend verändern würde.
Ich beschloss daraufhin die oberpfälzische Großstadt zu verlassen und in mein von dreihundert Seelen bewohntes Heimatdorf zurückzukehren. Mund und Nase geschützt setzte ich mich also in einen gespenstisch leeren Zug Richtung Südosten und trat die endlos scheinende Reise von zwei Stunden an. Zuhause angekommen wurde ich erst einmal von einem eher semi-überschwänglichen Empfangskomitee bestehend aus Eltern, drei kleine Geschwister, Hund, Katze, Maus (letzteres war gelogen – Mäusebefall ist wegen vorletzterem nicht vorhanden) begrüßt. Irgendwie lag bei dem wie immer sehr herzlichen Ankommen dieses Mal eine Art Einverständnis zwischen uns allen in der Luft, ein Gefühl von Ernsthaftigkeit und Endgültigkeit angesichts der außergewöhnlichen Lage. Bei Apfelkuchen und Kaffee verflog dieser Eindruck allerdings schnell und es stellte sich bei mir eine wohlige Gelassenheit ein, die ich so schon länger nicht mehr empfunden hatte. Ich trällerte also »Hallo Kinderzimmer!« und sagte den unzähligen Staubflusen den Kampf an.
Die Anfangszeit daheim war geprägt von gemeinsamen Mittagessen, Spaziergängen im Wald und dem etwas eingestaubten Dunst meines alten Kinderzimmers. Es tat gut, sich in diesen unsicheren Momenten in die Sicherheit und Wärme meiner Familie fallen zu lassen. Natürlich half ich beim Kochen, Putzen und sonstigen Haushaltsaufgaben, die anfielen. Meine Eltern sind auch nicht mehr die jüngsten und eine weitere helfende Hand schadet nie. Nichtsdestotrotz hatte ich den Eindruck, dass ich nach und nach jegliche Verantwortung abgab und ich mehr und mehr zu dem Avril-Lavigne-liebenden Ich von vor zehn Jahren wurde.
Zu Beginn genoss ich es, sehr die vielen Entscheidungsmöglichkeiten abgenommen zu bekommen und meine Familie und ich entwickelten einen Ablauf, der sich Tag für Tag ähnelte. Ich fügte mich ein wie ein verloren geglaubtes Puzzleteil, das sich gar nicht bewusst war verloren zu sein. Ich fand Halt in diesen haltlosen Zeiten. Daher bin ich mir sicher, dass es für mich und freilich auch für viele andere die richtige Entscheidung war, für diesen ganz bestimmten Zeitraum wieder zuhause einzuziehen.
Nach ein paar Wochen kam es aber immer öfter zu kleinen Unstimmigkeiten. Beim Einkaufen war ich als bekennender Öko-Hipster mit der Auswahl meiner Mama oft nicht einverstanden, wir fanden jedoch meist einen Kompromiss. Aber die Abgeschiedenheit zuhause, die ich anfangs so genoss, engte mich schließlich ein und ich sehnte mich nach meiner chaotischen Dreier-WG in Regensburg zurück. Die Befreiung aus dieser Entscheidungsverpflichtung, die das Erwachsenwerden so mit sich bringt, wandelte sich stetig zu einer Bevormundung, die mich oft ungewollt wütend machte. Ich glaube, jeder kennt dieses Gefühl der Freiheit, das sich einstellt, wenn man das erste Mal von zuhause ausgezogen ist. Mit dem Fortschreiten der Zeit vergisst man aber, denke ich, wie viel diese Freiheit bedeutet und nimmt sie als selbstverständlich an. Das tat ich zumindest.
Der Verlust dieser Freiheit fühlte sich für mich wie die Rückverwandlung in mein 13-jähriges Ich an. Und wie mein 13-jähriges Ich wurde ich zunehmend launisch und empfindlich, was ich im Nachhinein ziemlich peinlich finde und ich meine Eltern von daher sehr dafür bewundere, dass sie mich in manchen Situationen nicht hochkant rausschmissen.
Die Zeit von 13 bis 18 gehört für mich nicht unbedingt zu den schönsten in meinem Leben. Vielleicht reagierte ich deshalb so extrem auf dieses Gefühl, genau in diese Phase zurückgeworfen zu werden. Mal ehrlich, wenn man nicht zu den Cool-Kids der Schule gehörte, dann waren diese verpickelten Momente doch kacke für jede*n, oder?
Zwei Monate waren also vergangen und ich kehrte wieder nach Regensburg zurück. Ich war definitiv froh darüber, dass ich mein altes Kinderzimmer wieder einmal entstaubt hatte und viel Zeit mit meiner Familie verbrachte. Die sind einfach meine liebsten Menschen auf der Welt. Allerdings rief mir diese Zeit zuhause wieder ins Gedächtnis, wie befreiend Verantwortung sein kann und welches Privileg es ist, Zeit und Raum für sich selbst zu haben. Ich sagte also »Tschüss Kinderzimmer, wir sehen uns spätestens im Herbst nach der zweiten Welle wieder! Bis dahin!«.
Freut euch nächste Woche auf die Wohnsinn Kolumne von Laura!