Wohnsinn-Kolumne: Die Sofaecke, die durch Kumpfmühl fuhr
Ein Umzug zu Corona-Zeiten ist so eine Sache für sich. Vor allem, wenn man sich das Umzugsunternehmen sparen möchte. Ein Wohnsinn über das Abseilen von Babyelefanten und Sofaecken, die auf dem Autodach durch Kumpfmühl gefahren werden.
von Lotte Nachtmann
Ich habe Euch ja schon davon berichtet, dass die Corona-Pandemie meinen Freund und mich bereits relativ zu Beginn heimgesucht hat. Als wäre die häusliche Quarantäne, der sich meine bessere Hälfte beugen musste, nicht schon schlimm genug gewesen, so kam am Vorabend seines Isolations-Geburtstags Ende März auch noch ein ganz besonders erfreulicher Anruf seines Vermieters hinzu. Kündigung wegen Eigenbedarfs. (Und ja: Das ist auch zu Corona-Zeiten erlaubt. Nur Kündigungen wegen nicht geleisteter Mietzahlungen wurden zwischenzeitig ausgesetzt.) Immerhin war der Vermieter noch so freundlich, die Kündigung anzukündigen, sodass meinem Freund statt der gewöhnlichen drei Monate Frist bis Ende Juli Zeit blieb, eine neue Bleibe zu finden. Nachdem sich die erste apokalyptische Weltuntergangsstimmung gelegt hatte, war dann auch tatsächlich in akzeptabler Zeit ein neues Zuhause gefunden. Auch wenn es mir immer noch in der Seele schmerzt, dass die lichtdurchflutete Maisonnette-Wohnung mit Dachterrasse bald passé sein wird. Trotz Corona-Kontaktbeschränkungen, die zu diesem Zeitpunkt ja noch wesentlich strenger ausfielen, fand mein Freund zwei Zimmer in einem WG-Haus in Kumpfmühl, ganz in der Nähe der alten Wohnung – mit eigener Terrasse und Garten. Er ist auch tatsächlich der einzige, der es schafft, bei einer räumlichen Verkleinerung und einem Rückzug in eine WG aus der eigenen Wohnung auch noch ein Upgrade abzustauben. Somit waren auch die Pläne verworfen, wie man der Tochter des Vermieters und deren Freund, die in die alte Wohnung einziehen wollten, bei der Besichtigung ihres neuen Heims dieses möglichst madig machen kann. Die Nachbarin musste nicht mehr gefragt werden, ob sie in Club-Lautstärke Heavy Metal aufdrehen könne.
Die neue (und wenn ich das sagen darf: traumhafte) Bleibe war also gefunden. Da stellte sich schon das nächste Problem frech in unseren Weg: Wie zur Hölle zieht man in Corona-Zeiten um? Erlaubt ist es beispielsweise eben für dringende Fälle, denen gekündigt wurde oder die eine neue Arbeitsstelle in einer anderen Stadt antreten. Und auch die Umzugsunternehmen arbeiten ja schließlich weiter. Doch nach den ersten Kostenvoranschlägen verging meinem Freund das Lachen. Ich sage nur: Maisonette-Wohnung (die uns später noch viel „Freude“ bereiten sollte) und dritter Stock ohne Aufzug. Das kostet. Und nicht zu vergessen die gigantische Couch auf der Galerie, die in vielerlei Hinsicht den Ausmaßen eines Elefantenkalbs entspricht, und die garantiert nicht über eine Wendeltreppe zu befördern ist. Mein Freund entschied sich gegen die horrenden Kosten eines Umzugsunternehmens. Doch das problematische Elefantenbaby auf der Galerie löste sich dadurch ja nicht in Luft auf. Und die Idee, dass dann eben ein paar seiner stabilen und belastbaren Freunde anpacken, scheiterte schnell an der noch geltenden Zwei-Haushalte-Regelung. Also musste eben mit zwei Haushalten gearbeitet werden. Mich haben wir kurzfristig zum mobilen Einrichtungsgegenstand deklariert und dann noch spontan den besten Kumpel meines Freundes angeheuert. So standen also zwei Autos und drei halbwegs kräftige junge Menschen vor einem doch recht ausufernden Haushalt und einem Babyelefanten. Und hatten einen Tag Zeit, zumindest mal das nötigste in die neue Wohnung zu schaffen. Eine kleine Herkules-Aufgabe, auch wenn ich den Kumpel meines Freundes angesichts der Tatsache, dass er Siebentausender besteigt, schon mit einem antiken griechischen Helden gleichsetzen würde.
Moment: Siebentausender, Bergsteigen, Klettern … letzteres ein Hobby, das auch mein Freund ausübt. Wozu hat man denn 40 Meter Kletterseil und Karabiner zu Hause rumliegen, die nach Monaten der Zwangspause mal wieder benutzt werden wollen? So eine Kletterausrüstung kann praktisch sein, wenn man ein Elefantenbaby (das in Einzelteile zerlegt aber immer noch in Richtung halbwüchsiges Gnu geht), einen Couch- und einen Fernsehtisch (beide aus Massivholz, natürlich, was sonst) abseilen möchte. Zur Sicherheit noch ein paar Matratzen unten hinlegen, damit bei einem Absturz nicht doch noch der lang erwünschte vertikale Durchbruch zu den Nachbarn entsteht. Diese völlig absurde und versicherungstechnisch vermutlich auch äußerst fragwürdige Aktion funktionierte jedoch erstaunlich gut. Dann packten die beiden noch an und hievten die Sofaecken die drei Stockwerke runter. Man möchte meinen, alle Probleme hätten endlich unseren Weg geräumt. Na ja, fast alle: Bekomme mal ein Elefantenbaby in einen normalgroßen PKW. Auch bei einem Gnu wird das knapp. Und tatsächlich: das letzte Gnu, ähhh ich meine die letzte Sofaecke passte nicht rein. Glücklicherweise sind Besteiger von Siebentausendern pragmatische Menschen. So wanderte die Sofaecke auf das Dach eines Autos, wurde festgezurrt und die 500 Meter zur neuen Wohnung quasi open air transportiert. Erneut eine äußerst absurde und versicherungstechnisch vermutlich fragwürdige Aktion. Aber es klappte wieder. Und so fuhr eine Sofaecke durch Kumpfmühl.
Am Ende des Tages waren wir alle vom Schleppen der vielen Gnus und Elefantenbabys ziemlich k.o., aber zufrieden, zumindest einen Großteil dieses merkwürdigen Corona-Umzugs geschafft zu haben. Wie ich einen Fikus auf meinem Schoß transportiert habe, erzähle ich Euch vielleicht das nächste Mal. Kommende Woche gibt es aber erstmal News aus Selinas WG.