Fake News, Heuchlertum und die große Liebe: Molières »Tartuffe« im Theater Regensburg
Schon als man die zwei Worte »So sad!« in großen Neonlettern über der Bühne hängen sah, konnte man erahnen, wer genau in dieser von Peter Wittenberg neu inszenierten Version des französischen Theaterstücks Tartuffe aufs Korn genommen werden würde. Molières skandalöse, religiöse Heuchelei kritisierende Komödie dient selbst 355 Jahre nach der ersten Uraufführung als aktuelle Analogie auf unsere postfaktische Zeit, in der Trump, AfD und co. als moralisierende Rattenfänger auftreten und sich in die Herzen zu vieler Wähler schleimen. Wenn so etwas schon in der Gesellschaft funktioniert, ist deren kleinstes Element, die Familie, natürlich nicht vor solchen trojanischen Pferden gefeit.
von Elias Schäfer
Molière, bürgerlich Jean-Baptiste Poquelin, war, glaube man den zeitgenössischen Stimmen des höfischen Adels, ein ganz übler Schuft. Von 1622 bis 1673 lebend, im Zeitalter des französischen Absolutismus unter König Ludwig XIV., fing er an, ab 1643 wandernde Theatergruppen zu leiten und Stücke zu verfassen, ab 1655 sogar eigene aufführen zu lassen. Nach seiner Rückkehr nach Paris eroberte er schnell die Gunst des Sonnenkönigs und durfte somit viele seiner Stücke an dessen Hof aufführen, womit die Kontroversen um seine Person auch begannen. Eine Mehrzahl des frommen Adels war nämlich so gar nicht mit den Themen Molières einverstanden, vor allem dann nicht, wenn er eben jene Frömmelei durch den Kakao zog. Für den König kam dies zwar recht, da er die gesamte Macht im Staat in ihm alleine bündeln wollte, nichtsdestotrotz musste er aufgrund der Kritik des »alten Hofs« Molières Tartuffe zweimal verbieten, bis im Jahre 1669 eine überarbeitete Version erschien und schließlich zu einem phänomenalen Erfolg aufschwang.
Warum Tartuffe für den frommen Adel so anstößig war, ist leicht erklärt: Dessen Heuchelei unter dem Deckmantel der Religiösität wird hier aufs Schärfste kritisiert. Als Stellvertreter für diesen tritt ein Mann namens Tartuffe auf, der sich durch Schmeicheleien und Lügen unter dem Vorwand, er sei ein quasi Heiliger, in das Haus des gutbürgerlichen Orgon schwindelt und dessen Sympathie in solch einem Maße für sich gewinnt, dass Orgon Tartuffe bald über seine eigene Familie stellt. Blind vor Zuneigung zu Tartuffe (»Der gute Mann!«) merkt Orgon gar nicht, dass dieser hinter seinem Rücken seiner Frau Elmire offensive Avancen macht und einen Plan schmiedet, sich den kompletten Besitz Orgons einzuverleiben.
Entgegen verschiedenartiger Proteste seitens seines Sohnes Damis, seiner Frau Elmire, seines Schwagers Cléante und der schlagfertigen Zofe Dorine lässt sich Orgon nicht von seinem Kurs abbringen, seine Tochter Mariane trotz der Verlobung mit ihrem Geliebten Valère mit Tartuffe zu verheiraten und dem Scharlatan sein gesamtes Erbe zu vermachen. Selbst als er miterlebt, wie Tartuffe Elmire fast schon vergewaltigt, hadert er mit sich selbst, da er lieber auf seine Gefühle als auf eindeutige Fakten vertraut. Schließlich überzeugt sich Orgon dennoch von Tartuffes Betrügerei, doch das scheint leider schon zu spät zu sein: Seine Mutter Pernelle ist immer noch dem Charme Tartuffes erlegen, Damis wurde von ihm dem Hause verwiesen, Mariane ist am Rande eines Nervenzusammenbruchs und als bittere Kirsche auf der Sahnetorte ist Tartuffe samt eines Kommissars auf dem Weg, Orgons gesamte Familie aus deren Haus zu jagen.
Dies alles wird in der Regensburger Theaterdarbietung in einer bittersüßen Komödie verpackt, die in sich reimenden Versen, die in ihrer deutschen Fassung aus der Feder Wolfgang Wiens’ stammen, vorgetragen wird. Die Referenzen zur heutigen Zeit, in der Fake News grassieren, Fakten ignoriert werden und rechte Heuchler sich die Stimmen der Wähler ergenauern, sind vom Stil her subtil, aber gleichzeitig aufgrund ihrer Aussage brachial. Die Familie Orgons ist hauptsächlich ganz in weiß gekleidet, was Unbeflecktheit und Frömmigkeit ausstrahlen soll, simultan aber auch naiv, gar dümmlich, wirkt. Nur die rebellische Magd Dorine fällt mit ihrer riesigen Zahnspange, ihrem Pepsi Cola Jersey und einem durchsichtigen Overall aus Plastik aus der Reihe. Sie dient in diesem Stück als Stimme der Vernunft, als eine, die das gottlose Treiben Tartuffes durchschaut, und dennoch fast die Nerven verliert, da ihr bis zum Schluss kaum jemand Glauben schenken mag oder zuhören will.
Einen Rahmen rund um dieses Stück bieten englischsprachige gesangliche Einlagen, am Anfang vorgetragen von Dorine, am Ende von Tartuffe, die eine Brücke in die heutige Zeit schlagen. »So sad!«, ein oft benutzter Ausspruch Donald Trumps, kann in nur zwei Worten eine deutliche Aussage liefern: Es wird Anteilnahme und Empathie vorgegaukelt, in diesem Falle an Orgons Verluste gerichtet, im Endeffekt jedoch ist Heuchlern wie Tartuffe, Trump oder der AfD egal, was mit sämtlichen Menschen passiert, solange sie ihre eigenen Vorteile daraus ziehen. Schade, Marmelade, weiter geht’s mit der Charade.
Peter Wittenbergs Version von Tartuffe, die mit einer Stunde und 50 Minuten (ohne Pause) sehr kurzweilig ausfällt, verläuft Schlag auf Schlag, so dass es dem Publikum während der gesamten Vorstellung nicht möglich ist, vom fast schon slapstickartigen Treiben auf der Bühne eine Verschnaufpause zu nehmen. Dies wurde auf der Premiere gebührend quittiert, denn durch das Schauspiel hinweg gab es an vielen Stellen lautes Gelächter seitens der ZuschauerInnen zu vernehmen und der Applaus am Ende fiel tosend aus. Die Message von Tartuffe sollte, egal ob 17. oder 21. Jahrhundert, jedem/r klar geworden sein: Man sollte offensichtliche Rattenfänger, die Wasser predigen, aber Wein trinken, weder in sein Haus, noch in irgendeine politische Position lassen, wenn man nicht betrogen und ums (metaphorische) Hab und Gut erleichtert werden will – dies kann nämlich schneller passieren, als man zu glauben vermag.
Informationen zu weiteren Vorstellungen und Ticketpreisen findet Ihr auf der Website des Theaters Regensburg.
alle Fotos: © Martin Sigmund