Nächtlicher Besuch
Da sich meine WG gerade im Semesterferien-Snoozemodus befindet und zwei von drei Mitbewohnern sich ihre Zeit an entfernten Orten auf anderen Kontinenten vertreiben, möchte ich euch heute mit in eine Nacht nehmen, die ich vor etwa einem Jahr in meiner ehemalige WG am Stadtrand Regensburg erleben ‚durfte‘.
von Tabea Klaes
Wir lebten ebenfalls zu dritt in der ersten Etage eines schmucken und etwas älteren Mehrfamilienhaus mit großen Garten, vielen Vögeln und vier Bienenstöcken vor dem Küchenfenster. Soweit nichts besonderes, es ist im Sinne der folgenden Geschehnisse womöglich erwähnenswert, dass es einige kleinere Dinge gab, die unser Vermieter im Laufe der nächsten Wochen noch erledigen wollte. Ein kleiner Schacht mit Zugang zu Wasserhähnen in der Küche musste etwa noch endgültig zugenagelt werden und der Rollladen in der Küche ließ sich nicht runterlassen, dennoch ließen wir das Fenster auch nachts auf Grund heißer Sommertage auf Kipp offen.
An einem besonders heißen Tag stand mein Mitbewohner mitten in der Nacht auf, um sich etwas Wasser aus der Küche zu holen. Im Halbdunkeln hörte er leises Schmatzen hinter sich, dass er solange kaum beachtete, bis er sich umdrehte und in zwei große unschuldige Augen schaute. Erst beim zweiten Blick auf das tomatenknabbernde Wollknäuel wurde ihm klar, dass sich tatsächlich ein Eindringling in unsere Wohnung geschlichen hatte. Mit einem Satz war er aus der Küche draußen und die Tür fest verschlossen, vorher hatte er aber tapfer noch Beweisfotos gemacht. Da er sich alleine der Aufgabe nicht gewachsen sah, weckte er uns mit etwas verschreckenden Aussagen wie ‚da ist irgendein Tier in der Küche, keine Ahnung was das ist‘ auf.
Also bewaffneten wir uns mit Besen, Wischmob und Wäschekorb, um unsere Küche zurückzuerobern. Unser Mitbewohner bestand währenddessen darauf, das Tier Fred zu nennen – man müsse sich schließlich bewusst sein, wem man gegenübersteht.
Als wir vorsichtig die Tür aufmachten, saß Fred weiterhin friedlich mampfend in unserer Gemüseschale und warf uns lediglich einen unfreundlichen Blick zu. Langsam trauten wir uns einige Schritte näher und versuchten ihn aus der Reserve und in den Wäschekorb zu locken, um ihn in die Freiheit entlassen zu können. Aber weit gefehlt – vorsichtige Annäherungen brachten keinen Erfolg und als der Besenstiel dann sehr nah kam, wurde aus dem süßen Wollknäuel ein unansehliches, rattenähnliches Renntier, das über alle Ablagen sprang und schließlich auf den Küchenschränken verschwand. Auch wir brauchten eine kurze Pause und schlichen uns schnell aus der Küche. Wir heckten einen Masterplan aus, wollten aus unterschiedlichen Ecken kommend Fred einkesseln.
Also Tür wieder auf, alle rein und Tür wieder zu. Aber das Wollknäuel fanden wir nicht mehr. Mit einem etwas mulmigen Gefühl gingen wir schließlich ins Bett und vertagten die Mission auf den nächsten Morgen.
Nur leider war auch am nächsten Morgen nichts mehr von Fred zu sehen – womöglich war er aus dem offenen Schacht in die Gänge des Hauses zurückgekehrt. Uns blieben lediglich seine hinterlassenen Spuren – angeknabberte Zwiebeln, Tomaten, müde Augen nach einer schlaflosen Nacht und glücklicherweise das Beweisfoto.
Dank diesem haben wir nach langem Rätselraten noch herausgefunden, dass wir mit Fred alle das erste Mal ein Siebenschläfer in ‚freier Natur‘ sehen konnten.
In der nächsten Woche versorgt euch erneut Selina mit womöglich weniger tierisch-aufregendem, aber mindestens genauso unterhaltsamen Wohnsinn.