David gegen Goliath oder: Dem Plastikmüll den Kampf ansagen
Seit der Erstproduktion in den Fünfziger Jahren wurden weltweit bisher mehr als acht Milliarden Tonnen Plastik produziert – 150 Millionen Tonnen davon befinden sich Forschern zufolge in unseren Weltmeeren, Tendenz steigend. Das führt zu einem verheerenden Problem für Umwelt, Mensch und Tier, das zu akutem Handeln drängt: Die Aachener Initative Pacific Garbage Screening will daher mittels einer eigens konzipierten Plattform gegen die Müllflut ankämpfen und Plastik aus den Ozeanen fischen.
von Sarah Marcinkowski
Die Flasche Orangensaft beim Frühstück, die Fastfood-Verpackung beim Lieferservice, Medikamente, Kosmetikartikel, Shampoo und Duschgel, ja selbst die Bio-Tomaten im Supermarkt werden häufig separat eingepackt – Plastik und dabei vor allem Plastikverpackungen haben also längst nicht mehr nur die Industrie, sondern auch unseren Alltag für sich eingenommen und richten damit folgenschwere Schäden für Umwelt, Mensch und Tier an. Schätzungsweise bis zu 13 Millionen Tonnen Plastikmüll landen jährlich im Ozean und führen damit zu einer der gravierendsten Umweltkatastrophen unserer Zeit, denn: Ist das Plastik erst einmal ins Meer gelangt und hat begonnen, sich durch äußere Einflüsse wie Salz und Sonnenlicht in seine Mikroteilchen zu zersetzen, die anschließend von Fischen und anderen Lebewesen durch die Nahrung aufgenommen werden, wird es immer schwieriger, diesen Prozess einzudämmen beziehungsweise aufzuhalten – das vom Menschen produzierte und zu verantwortende Plastik findet somit durch diesen Kreislauf automatisch wieder seinen Weg zurück. Dass das metaphorische Kind dabei bereits in den Brunnen gefallen ist; dass Plastik längst zu einem festen Bestandteil innerhalb unseres Ökosystems geworden ist, sollte mittlerweile jedem bewusst sein. Jedoch auch, dass ernüchternde Tatsachen wie diese lange kein Grund für Resignation und Prokrastination sein sollten, sondern gerade jetzt akuter Handlungsbedarf besteht, um den Schaden zumindest einzugrenzen. Genau an diesem Punkt setzt die Initiative Pacific Garbage Screening an: Gegründet von Marcella Hansch, einer jungen Architektin aus Aachen, hat es sich diese zur Aufgabe gemacht, mittels einer schwimmenden Plattform Mikroplastikpartikel aus dem Wasser zu filtern – das funktioniert in etwa wie ein Rechen: Obwohl Plastik im Vergleich zu Wasser eine geringere Dichte aufweist, kann es durch Strömungen bis zu 30 Meter unter die Wasseroberfläche gezogen werden und bleibt so erst einmal unsichtbar – durch die spezielle Bauform der energetisch autarken Plattform kann die Strömung zumindest abschnittsweise so beruhigt werden, dass die Plastikteile an die Oberfläche steigen und somit durch ein »passives Sedimentierungsprinzip« (Pacific Garbage Screening) schonend herausgefiltert werden können. Doch was soll dann mit dem Plastik passieren? Durch den hohen Salzgehalt im Wasser lässt sich aus dem Ozean gefischtes Plastik kaum mehr durch die herkömmlichen Verfahren recyceln – Pacific Garbage Screening plädiert stattdessen dafür, die Plastikpartikel durch ein chemisches Verfahren in vor allem Wasserstoff und Kohlenstoffdioxid umzuwandeln. Der Wasserstoff würde hierbei einen sauberen Energieträger für Brennstoffzellen darstellen; aus dem eigentlich schädlichen Kohlenstoffdioxid wird durch die Zugabe zu Algenkulturen Biomasse für die Herstellung von Biokunststoff, einer umweltverträglicheren und biologisch abbaubaren Variante auf Basis nachwachsender Rohstoffe – ein komplexer Prozess, der sich zunächst als nicht wirklich praktikabel erwiesen hatte, jedoch gerade lösungsorientiert weiterentwickelt wird.
Damit diese energetisch autarke Plattform in naher Zukunft auch in der Praxis realisiert werden kann, bedarf es daher erst einmal einer intensiven Grundlagenforschung – unterstützt wird Marcella Hansch dabei von ihrem etwa 35-köpfigen Team, das aus Ingenieuren, Studierenden und Wissenschaftlern aus unterschiedlichsten Disziplinen besteht.
Am Institut für Wasserbau und Wasserwirtschaft in Aachen, durch das der gemeinnützige Verein unterstützt wird, werden derzeit Abschlussarbeiten zu ebendiesem Thema geschrieben, die dann in die Forschung einfließen – bearbeitete Fragestellungen sind unter anderem die »Plastikentnahme« und »Plastikbehandlung/- verarbeitung« sowie mögliche Alternativen, um den Meeresabfall schonend und so nachhaltig wie möglich weiterzuverarbeiten.
Bereits 2016 erhielten Hansch und ihr Team für ihre Forschung den »Bundespreis ecodesign«, 2018 den Future Impact Maker-Award, Edition F verlieh der Architektin darüber hinaus im Sommer vergangenen Jahres den »25 Frauen Award« für »Frauen, deren Erfindungen unser Leben verändern«. Zu Recht – doch auf den Lorbeeren ausruhen ist für Pacific Garbage Screening keine Option, denn der erste Prototyp der schwimmenden Plattform soll bald realisiert werden und zunächst an Flussmündungen zum Einsatz kommen, damit der weitere Plastikmüllstrom gar nicht erst in die Ozeane gelangen kann. Durch Workshops an Schulen und Vorträgen in Deutschland, aber auch immer mehr auf internationaler Ebene, versuchen Hansch und ihr Team mehr Menschen von ihrem Vorhaben zu überzeugen und ein Bewusstsein für das Problem Plastik zu schaffen – denn nur wenn jeder aktiv seinen Plastikkonsum reduziert und anfängt, sich für die verheerenden Folgen, die das Material auf unsere Gesundheit und das Ökosystem hat, zu sensibilisieren, kann sich auch etwas ändern.
Um das Projekt realisieren und an weiteren Lösungsansätzen arbeiten zu können, ist Pacific Garbage Screening als gemeinnütziger Verein daher auf Sponsoren und Spenden angewiesen – und weil wir als Redaktion der Lautschrift auch ein Zeichen im Kampf gegen den Plastikmüll setzen möchten, haben wir während des Kuchenverkaufs im letzten Semester an der Universiät Regensburg und aus den eigenen Reihen Spenden für das Projekt von Marcella Hansch gesammelt und an Pacific Garbage Screening überwiesen, denn: Jeder von uns kann durch sein Handeln und seine Entscheidungen im Sinne der Nachhaltigkeit aktiv werden und Plastikmüll den Kampf ansagen – so schwierig dieses Unterfangen auch zunächst wirken mag – David hat es schließlich auch geschafft, Goliath zu besiegen, oder?