Der Fenstersturz von Clermont-Ferrand
Wer bisherige Geschichten aus meiner WG in Clermont-Ferrand verfolgt hat, der weiß schon, dass kreative Ausstiege aus Fenstern in unserer Wohnung nichts Außergewöhnliches waren. Aber nicht nur unsere Party-Gäste mussten schon mal eine Abkürzung nehmen, auch einer unserer tierischen Nachbarn hielt den Ausstieg aus dem Fenster für eine gute Idee.
Von Lotte Nachtmann
Wie so häufig saß ich während meines Auslandsjahres in Clermont-Ferrand an meinem Schreibtisch und übte mich in Prokrastination. Mein Zimmer lag in Richtung Hinterhof und man konnte vom Schreibtisch aus in das ein oder andere Fenster der Nachbarn schielen. Das war vielleicht bei so manchem Schlafzimmer ohne Vorhänge nicht unbedingt die beste Idee, aber wenn ich den Blick gen vierten Stock richtete, konnte ich regelmäßig einen etwas diskreteren Zeitgenossen beobachten. Es handelte sich hierbei um einen Nachbarn der besonders flauschigen Art: Ein schwarz-weißer Kater, der, als Wohnungskatze gehalten, häufig völlig gelangweilt am Fenster saß und in das überschaubare Stückchen blauen Himmel starrte, das die hohen Wände des Hinterhofs nicht verdeckten. Als das Tier dann aber eines Tages entdeckte, dass ich es von meinem Schreibtisch aus beobachtete, wurde dieses so ferne Stückchen Freiheit plötzlich ganz uninteressant. Häufig starrten mein neuer Freund und ich uns minutenlang an und übten uns in der »wer-blinzelt-zuerst«-Challenge. Über die Wochen schloss ich den Kater fast schon in mein Herz und freute mich jedes Mal, ihn auf dem Fenstersims zu sehen.
An jenem erwähnten, durch komplette Demotivation geprägten Nachmittag, sah ich meinen pelzigen Freund plötzlich einmal an einem anderen Fenster. Dieses stand allerdings ein paar Zentimeter offen: Eine willkommene Einladung für ein so neugieriges Tier, wie es Katzen nun einmal sind. So steckte der Kater erst die rosa Nase durch den Fensterspalt und kletterte bald ganz an die frische Luft. Katzen sind ja dafür bekannt, dass sie in schwindelerregender Höhe mit Leichtigkeit auf noch so kleinen Ästen balancieren können, doch diese Aktion kam mir schon ein wenig waghalsig vor. Und so musste geschehen, was ich schon kommen gesehen hatte: Das Fenster schlug von innen zu, die Katze fand draußen mangels Fensterbank keinen Halt mehr und plötzlich flog dieses schwarz-weiße Fellbündel an meinem Fenster vorbei hinab gen Innenhof. Was folgte, war wohl der größte Katzenjammer, den ich je gehört hatte. Minutenlang hörte man die wehklagenden Schreie im Innenhof hallen. Die Besitzerin kümmerte sich natürlich sofort um den kleinen Bruchpiloten, trotzdem blieb nur zu hoffen, dass er noch genügend Leben hatte, um sich wieder zu erholen.
Ein paar Tage später jedoch – der denkwürdige Fenstersturz von Clermont-Ferrand war mir einfach nicht aus dem Kopf gegangen – schaute ich wie gewohnt gen vierten Stock und erblickte meinen flauschigen Freund. Er sah ein wenig lädiert aus und hatte eine Pfote im Gips, schien seinen Absturz jedoch doch recht gut überstanden zu haben. Da fiel mir regelrecht ein Stein vom Herzen und auch die restlichen Wochen meines Auslandsaufenthaltes sollte ich noch mit Blick-Duellen mit meinem abenteuerlustigen Nachbarn verbringen.
Nächste Woche gibt es dann wieder hoffentlich ein bisschen weniger gefährliche Neuigkeiten aus Fabians WG im Wohnheim.