Mit den Ohren sehen
Manche Wohnungen sind auf den ersten Blick perfekt: Zentrale Lage, schön renoviert und obendrein noch bezahlbar. Selbst der zweite Blick auf Nachbarn und Ausstattung kann noch überzeugen – bis man die Augen schließt und zuhört.
Von Regina Polster
Zuhören – genau das hätte ich tun sollen, bevor ich mein Zimmer im wohl katholischsten Wohnheim des Regensburger Ostens bezog. Stattdessen war ich nach einer langen, verzweifelten Suche von Euphorie benebelt und schlug zu, bevor es jemand anders tun würde. Wochen später zogen meine Möbel ein, die die kommenden sechs Wochen Ferien noch ohne mich fristeten. Als ich dann endgültig im neuen Heim angekommen war, war es vor allem eines: laut. Direkt von meinem extragroßen Fenster aus hatte ich den herrlichen Ausblick auf eine fünfspurige Straße. Ich gebe zu, es zeugt von einiger Naivität, nicht bedacht zu haben, dass die Lkws und Autos nicht nur zu sehen, sondern auch zu hören sein würden.
Herbst und Winter trösteten mich noch über den gröbsten Lärm hinweg, da das Fenster nur zum Lüften geöffnet war und ich mir nachts einredete, mich sicher noch an den erhöhten Geräuschpegel zu gewöhnen. Als der Sommer jedoch kam, wurde mir klar: Nichts da Gewöhnung! Die lauen Nächte schrien nach einem geöffneten Fenster und bald wurden die vorbeifahrenden Fahrzeuge zum Hassobjekt. Ich begann jedes einzelne zu missachten, beschimpfte innerlich Busse, verfluchte Lkws – meine Erzfeinde jedoch waren diese supercoolen Zeitgenossen, die Spaß daran hatten, besonders viel Gas mit ihrem getunten Auspuff, der mich sowieso schon aus dem Schlaf holte, zu geben, sodass der Motor eine Fehlzündung hatte und damit regelmäßig meine Nerven.
Ich versuchte es mit Oropax, positiven Gedanken, ja sogar mit Kissen auf dem Ohr – nichts davon machte es wirklich besser. Im Gegenteil, es war um mich geschehen: Ich hatte einen leichten Schlaf entwickelt, erwachte regelmäßig und fühlte mich dementsprechend gerädert, Tag für Tag. Die Semesterferien boten Erholung, aber keine Erlösung. Denn mit dem Beginn des Praxissemesters startete ich in eine Phase meines Lebens, in der ich täglich um zehn Uhr einschlafen hätte müssen, um um sechs Uhr früh erholt aus dem Bett zu steigen. Das war mir nicht vergönnt und so befinde ich mich nach mehr als vier Monaten schlechten Schlafes am Tiefpunkt meiner Beziehung zu diesem Wohnheim. Ja, ich denke ernsthaft über eine Trennung nach – schlaflos in Regensburg ist eben nicht so romantisch, wie es klingt. Es bleibt die Hoffnung, dass Selina nächste Woche wieder schönere Anekdoten zu erzählen hat.