Wenn Gewohnheit zu Wohnen wird
80 Bewerber auf ein Zimmer, die Eltern müssen bürgen und trotzdem stehen Wohnungen leer. Solche Horrorszenarien sind inzwischen alltäglicher Bestandteil urbanen Lebens. Doch verschiedene Organisationen haben der Wohnungsknappheit und den Wuchermieten den Kampf angesagt – und das nicht erst seit gestern.
Zwischen den Stadtteilen Christianshavn und Holmen, liegt Christiania, die selbsternannte Freistadt, auf einer Nehrung vis à vis zur Innenstadt. Mit leuchtenden Augen erzählt Allan, der die Gruppe seit drei Stunden durch die klirrende Kälte führt, von seinem Lieblingsort in Kopenhagen. Es ist schon später Nachmittag, es gebe jedoch keinen Grund zur Scheu, einhundert Prozent sicher sei man dort zu jeder Tages- und Nachtzeit. »Die Leute in Christiania haben ihre eigenen Strukturen, Behörden und Regeln und tun niemandem etwas«, gibt er mit auf den Weg.
Nur unregelmäßig angebrachte Laternen und Solarlampen sorgen für Licht, die Wege sind schmal, mal gepflastert, mal aus Kies. Zwischen den zahlreichen bunten Hütten und Verschlägen stehen immer wieder größere Baracken, die an die militärische Zeit des Gebietes erinnern. Anfang der Siebziger Jahre hätten sich hier nach und nach Menschen niedergelassen und die seit Jahren ungenutzten Leerstände für sich beansprucht, erzählt Allan. Die Wohnungsnot sei zu dieser Zeit so gravierend gewesen, dass die Behörden sich nicht trauten, konsequent einzuschreiten.
Drogenkriege zwischen Banden, die sich das Gebiet unter den Nagel reißen wollten, Enteignungsversuche, all das hat die Siedlung überdauert und 2011 schließlich einen Schritt in Richtung Legalisierung des Grundbesitzes gemacht. Seitdem kann man über sogenannte Volksaktien Anteilseigner an der Stiftung für Christiania werden. Denn, so formulieren es die Christianiter auf ihrer Homepage, die Freistadt soll allen und niemandem gehören.
Längst ist diese alte Dame unter den alternativen Wohnkonzepten kein Einzelfall mehr. In immer mehr Städten auch hierzulande entstehen »kleine Christianias«.
Die bayerischen Projekte aus dem Verbund des Mietshäuser-Syndikats teffen sich in der Danz, der Danziger Freiheit 5, einem großen Einfamilienhaus, das von außen betrachtet nichts mit dem farbenfrohen Christiania gemein hat. Lediglich ein Transparent zur heutigen Veranstaltung an der Fassade, die auf den Kreisverkehr der Wohnsiedlung im Regensburger Stadtnorden schaut, weist darauf hin, dass hier eine alternative Wohnform beheimatet ist. Auf Höhe des Gartentores hängt neben der Klingel ein Ausdruck der gesetzlichen Paragraphen, die festlegen, wann es der Polizei oder anderen staatlichen Vertretern gestattet ist, das Grundstück zu betreten. Im Gegensatz zu Christiania ist die Danz aber kein Staat im Staat mit eigenen Regeln, eine alternative Form des Zusammenlebens findet sich jedoch auch hier.
Die Böden und Treppen sind aus massivem Holz, an den Wänden kleben zahlreiche Plakate zu Vorträgen oder Solidarisierungen mit anderen Gruppen. Der Gemeinschaftsbereich wirkt abgenutzt, ist aber gemütlich und erstreckt sich über das gesamte Obergeschoss des 1936 errichteten Altbaus.
Etwa 30 Leute sind gekommen, es gibt Quiche in kleinen Backformen, Kürbissuppe, Schoko-Brownies, als Teller geht auch ein Dosendeckel. Ein Kamerateam rückt gerade ab, es wird wieder entspannter. Man berät sich in kleiner Runde über laufende Projekte, Probleme und die Vorgehensweise des Mietshäuser-Syndikats. 2012 sei die Danz freigekauft worden, bereits seit 1973 war sie gemietet. Peter vom Münchner Projekt Ligsalz8 des Syndikats erklärt: »Das Syndikat besteht aus einer GmbH und einem Verein, der einziger Gesellschafter ist. Alle über das Syndikat verbundenen Projekte bilden eigene GmbHs, deren zugehörige Hausvereine innerhalb der Dachorganisation gebündelt werden.« Finanziert werden diese Projekte, dazu zählen auch Käufe von Leerständen, manchmal nach vorheriger Besetzung, durch Direktkredite von Privatleuten und aus dem Solidarbeitrag, der nach Erwerb und auch nach Abbezahlung in der Miete inbegriffen ist. Diese liegt oft weit unter dem Mietspiegel der Städte.
Häufig muss auch ein Bankkredit unterstützend in Anspruch genommen werden. »Der Nachteil bei diesen sind natürlich die hohen Zinsen bei der Rückzahlung«, sagt brip, ein Bewohner der Danz. »Lieber 1000 Freunde im Rücken als eine Bank im Nacken«, fügt Kurti lachend an. Zusammen mit Jordi ist er für das Bündnis Recht auf Stadt zu dem Treffen gekommen. Dieses setzt sich für bezahlbares Wohnen in Regensburg ein und hat die Initiative Alternativer Wohnraum Regensburg (AWR) ins Leben gerufen. Gerade kundschaften sie die Stadt nach Leerständen aus, unterteilt in Gebiete, gewerblich oder privat, alphabetisch angelegt wie eine echte Datenbank. Sie kontaktieren die Eigentümer und möchten mit dem AWR bei Zeiten mit einem passenden Objekt in das Mietshäuser-Syndikat einsteigen. Bei einer Hausbesetzung in der Grunewaldstraße sei zwar nach zwölf Stunden die Polizei aufgetaucht, für Aufmerksamkeit habe die Aktion jedoch gesorgt, meint Jordi. Für ihr Vorhaben sucht die AWR auch den Schulterschluss mit einem Makler, der – selbst von den zahlreichen Leerständen überrascht – seine Unterstützung etwa bei der Kontaktaufnahme zu den Eigentümern Angebot hat.
Auch gegen das geplante Regensburger Kultur- und Kongresszentrum richtet sich der Protest. Damit einher gingen die Bebauung von Flächen mit Hotels und dergleichen, die kein Mensch brauche, sagt Kurti.
Nur bei einer Sache ist man sich mit Blick auf das Syndikat uneins. Genau wie einige Recht auf Stadt‘ler sind auch Interessenten aus Landshut beim Treffen in der Danz überrascht von der unpolitischen Verfassung der großen Dachgesellschaft. Denn diese ist zwar basisdemokratisch aufgebaut – alles wird von einer Mitgliederversammlung per Konsens entschieden – doch gibt es kein offizielles antirassistisches oder antisexistisches Selbstverständnis. Die Projekte und Ziele der Syndikats GmbH würden allerdings bereits für sich sprechen, versichert man sich schließlich gegenseitig.
Die Vernetzung lohnt sich. Bereits 127 Projekte deutschlandweit hat das Mietshäuser-Syndikat unterstützt mit dem Ziel, die Wohnungen, Häuser und Höfe, ob auf dem Land bei Altötting oder in Freiburg, wo die Wurzeln der Organisation liegen, freizukaufen und damit dem spekulativen Wohnungsmarkt zu entziehen. Derzeit kommen jedes Jahr etwa zehn Projekte dazu, Tendenz steigend.