Ein Schokohase für Lolo

Ein Schokohase für Lolo

Wer spontan zum  »Master of the Univers« gehen möchte, hat seit Jahren ein Problem: Schon Wochen vorher sind die Karten vergriffen. Auch dieses Mal war der Audimax wieder komplett gefüllt – und erstmals schaffte es eine Regensburgerin, ins Finale einzuziehen.

Poetry-Slams haben im Allgemeinen zwei große Probleme: Entweder die Künstler sind so schlecht, dass man sich denkt, man hätte den Abend auch gleich daheim verbringen und eine Folge dieser neuen Serie auf RTL II schauen können (»Naked Attraction«) – der Fremdschäm-Effekt wäre derselbe gewesen. Oder es gibt ausgezeichnete, mit der Sprache spielende und zutiefst poetische Künstler. Diese schaffen es zumeist jedoch nicht einmal in die engere Auswahl. Warum? Weil das Publikum – siehe RTL II – nunmal oft auf die leichte Kost steht.

Der in Regensburger Studentenkreisen allseits beliebte Poetry-Slam »Master of the Univers« leidet sicherlich an keinem der beiden Problemen. Wer am Montag die inzwischen sechste Auflage der erfolgreichen Reihe im Audimax der Universität besuchte, kam in den Genuss einer von Thomas Spitzer hervorragend organisierten Veranstaltung mit viel geistreichem Witz, gewürzt mit der richtigen Dosis Tiefe.

Vor ausverkauftem Haus präsentierten sich sechs Poetry-Slamer, die ihr Handwerk definitiv verstehen. Die Teilnehmer Nekatarios Vlachopoulos, Tino Bomelino, Lisa Christ und Meral Ziegler haben allesamt schon namenhafte Preise für ihr Schaffen gewonnen. Lolo, die einzige lokale Teilnehmerin und Finalistin, hätte mit ihren mitreißenden Texten fast den ersten Titel geholt. Außerdem war mit Thomas Schmidt erstmals ein Stand-Up-Comedian auf der Bühne, für ihn war es sogar der erste Auftritt auf einem Slam. Dass die Veranstaltung sehr Comedy-lastig werde, kündigte Thomas Spitzer schon bei der Begrüßung an, lässig in einem Nebensatz und mit viel Witz verpackt natürlich. Man merkte bereits zu Beginn, dass dieser Abend alles andere als steif werden würde. Spätestens als das Mikrofon dann Hazel Brugger, der zynischen Schweizer Moderatorin des Abends, übergeben wurde, war klar, dass es keine Tabus gibt, an die man sich zu halten hat: Hazel wetterte ganz trocken gegen Regensburg, Band und Publikum – die Stimmung stieg rapide an. Kurz noch die Regeln erklärt, den Applaus eingeübt und los ging’s.

Eine erste Runde mit unerwarteter Wendung

In der ersten Runde traten jeweils zwei Künstler gegeneinander an, wer den lauteren Applaus bekam, kam weiter, sodass sich letztendlich drei Slammer für das Halbfinale qualifizieren konnten.

Meral Ziegler legte mit hochfrequentem, aggressivem Wörterfluss gegen Youtuber gut los. Gegen den lässigen, an Kabarett erinnernden Auftritt des späteren Siegers Nekarios Vlachopolous kam sie aber nicht an. Der Gewinner der deutschen Poetry-Slam-Meisterschaft von 2011 studierte Germanistik auf Lehramt, zahlreiche seiner Pointen beruhten auf seiner Tätigkeit als Lehrer. Lisa Christ aus der Schweiz gehörte zu den Künstlern, die sich an diesem Abend nicht der Comedy verschrieben hatten, mit viel Gestik, brüchig-verschwörerischer Stimme und einer klaren Message trug sie einen Text über Bestimmung vor – ein sicherer Sieg! Dachte man zunächst. Doch dann kommt Tino Bomelino auf die Bühne, ein Comedian, der die deepe Stimmung, die seine Mitstreiterin hinterlassen hatte, geschickt aufzulockern weiß. Nach einer Minute, in der er einfach nur dasteht und schweigt, fängt er an, die Stimmung aufzuheizen wie in einem Fußballstadion: »eeeh eeh uh eeh eeh!!«. Das Publikum erwidert prompt den Gesang. »eeh eeh uh eeh eeh« – »eeeh eeh uh eeh eeh« – so geht es eine Weile im Wechselspiel hin und her. Stimmung wieder da. Er plaudert nun einfach entspannt drauf los und liest ein wenig aus seinem »Tagebuch« vor. Alles sehr einfach gehalten, doch seine Art und Pointen sind so gut, dass es nun unglaublich schwer wird: Lisa oder Tino? Es braucht zwei Applausrunden, bis die denkbar knappe Entscheidung fällt: Lisa raus, Tino weiter.

Doch auch der Veranstalter will in dieser Begegnung eigentlich keinen Verlierer sehen, nach kurzem Gespräch mit der Moderatorin wird verkündet, dass es vier Halbfinalteilnehmer geben wird. Alles sehr locker gehalten an diesem Abend. Thomas Schmidt, der Stand-Up-Comedian, legt anschließend ein ordentliches Poetry-Slam-Debüt hin und bestätigt die Vorankündigung des Veranstalters bezüglich der Comedy-Lastigkeit des Abends.

Die lokale Überraschungskünstlerin

Vor der Pause kommt Lolo schließlich noch auf die Bühne und beginnt ohne große Floskeln. »Milch mit Honig« heißt der Text, es fängt harmlos an, es geht um ein Mädchen und ihren Bruder. »Er macht ihr Milch mit Honig, damit sie besser schlafen kann«, dieser Satz wiederholt sich Mal um Mal. Die Wörter sprudeln nur so aus ihr heraus, sie wird schneller und schneller – und bricht dann wieder ab: »Er macht ihr Milch mit Honig, damit sie besser schlafen kann«. Man weiß irgendwie schon, was bald kommt – unausweichlich und so schrecklich, dass man es nicht wahrhaben will. Mit jedem: »Er macht ihr Milch mit Honig, damit sie besser schlafen kann«, kommen mehr Details ans Tageslicht: Der Bruder schlief seit Jahren mit ihr, letztendlich bringt er sie um. »Damit er besser schlafen kann«. Absolute Stille im Saal. Hier fällt die Entscheidung nicht schwer, Lolo ist im Halbfinale.

In der Pause hatte man Gelegenheit, sich ein neues Bier am Stand der Filmbühne holen, die den Ausschank für den Abend machte. Preislich ist das natürlich in Kombination mit der Karte für die Veranstaltung nicht das Allerschönste für den Durchschnittsstudenten, aber kaum jemand dürfte sich beschwert haben. Denn auch nach der Pause legten die Künstler ein konsequent hohes Niveau an den Tag. Begleitet von einer Hazel Brugger, die kein Blatt vor den Mund nimmt und so auch die Moderation als eine Art künstlerische Darbietung inszenierte.

In der ersten Halbfinalbegegnung wurde es erneut richtig knapp, aber mit einem weiteren mitreißenden Text konnte Lokalmatadorin Lolo anstatt von Tino Bomelino ins Finale einziehen. Ihr gegenüber stand Nekatarios Vlachopoulos, der seine Pointen nun im Deutschunterricht und auf einer Party situierte, das zentrale Thema dabei war aber dasselbe wie bei seiner Konkurrentin, Lisa Christ. Beide Texte handelten vom Älterwerden, nur hatte die Schweizerin einen weniger pointierten Ansatz, wie schon in der ersten Runde setzte sie auf den Transport einer klaren Message – das Älterwerden sei doch eigentlich ganz schön.

Ein großes Finale mit knappem Ausgang

Lolo, die erste Regensburgerin, die in ein Finale des »Master oft the Univers« einziehen konnte, leitete die Finalrunde ein, wieder ist es ein Text über eine schwierige Situation einer Einzelperson, wieder spricht sie mit aufgeregter Stimme und mit viel Geschwindigkeitsvariation. Dieses Mal handelt ihr Text von einem kleinen Mädchen, Leyla, das in einem Kriegsgebiet lebt. Wieder gelingt es ihr, über mehrere Minuten hinweg Spannung aufzubauen und das Publikum sich selbst im Kriegsgebiet zu wähnen, zusehen zu müssen, wie das Mädchen letztendlich stirbt. Obwohl sie damit gut vorgelegt hatte, war es schließlich doch der sympathische Lehrer griechischer Abstammung, der den Titel holte. Mit einem einzigen, langen Witz nach dem Schema: Ein Deutscher, ein Amerikaner, etc., spielte er geschickt mit Vorurteilen und transportierte am Ende eine klare Botschaft á la Lessing: Alle Religionen sind gleichwertig. Damit gewann Nekatarios Vlachopoulos verdient ein knappes Finale und somit auch – wie es bei Poetry-Slams nun mal Usus ist – eine Flasche Whiskey. Sicherlich hätte auch Lolo es verdient gehabt, hier als Sieger nach Hause zu gehen, doch um Poetry-Performer Allan Wolf zu zitieren: »The points are not the point. The point is the poetry.« Es geht um die Poesie, und die war an diesem Abend auf jeden Fall da. Und leer ging sie auch nicht aus – für sie gab es als zweiten Preis einen FC Bayern-Schokohasen, an der Ecke schon etwas aufgerissen. Vielleicht eine Idee der zynischen Hazel Brugger?

 

Foto: Thomas Spitzer
Auf dem Foto zu sehen: Meral Ziegler

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