Stories | Die Lampe
Sie hatte die Lampe bei einer Freundin gesehen. Sie bestand, so hatte sie erfragt, aus 24 Strängen, nur gebildet aus papierenen Halmen und den, sich von diesen abspreizenden, Stielen der allerorts feinziselierten Blütenstauden, -knospen, -dolden und einfachen Enden.
Alle waren verschieden, jeder Bogen stülpte sich in andere Richtungen und tunkte so die, das ganze Gebilde unendlich verdoppelnden, Stängelschatten auf. Es war einfach die schönste Lampe. Wie sie sich vom Schirm herunter schäumend in den Raum ergoss, lebendig in ihrer Vielheit, merkwürdig eingefroren in ihrer Bewegungslosigkeit, wirkte sie zugleich leicht und transparent für den jederorts im Zimmer stehenden Betrachter. Sie musste sie einfach haben. Wenn sie sie nicht bekommen könnte, würde sie ihr Leben lang keine Lampe, aber darüber hinaus überhaupt nichts Lichtmachendes mehr wahrnehmen können, ohne gleich in Wehmut und Ärger zu verfallen. Der Weg des Kaufs war ausgeschlossen, kein Geld war da und so blieb nur die Möglichkeit des Selbermachens.
Um gleich daran zu gehen, hatte sie sich nun daheim auf den Teppich begeben, um die papierene Blütenpracht auszuschneiden, doch wo anfangen? Zunächst stellte sie sich die Herstellung der 24 Grundstreifen als einführend einfache und in jedem Falle gegebene Aufgabe vor. So nahm sie die vier großen, sich in ihrer Struktur gänsehautartig sträubenden, Bögen zur Hand und trennte jedem sorgfältig sechs schmale Streifen ab. Im nächsten Schritt wäre nun jeder von diesen einzuschneiden, um zwei lappende Enden zu erzeugen. So schnitt sie nun, ihre Vorfreude auf die Tätigkeit des Blütenformens nur mühsam, jedoch stoisch zügelnd, alle Teile identisch ein und war beglückt von der besonnenen und zielversprechenden Bedachtheit ihres Vorgehens.
Nun ginge es ans Stielformen. Das bogenhafte Zuschneiden der Halbstreifen ging ihr leicht von der Hand und sie war betört von der fließenden Regelmäßigkeit ihrer Aufgabe, bis, beim vierzehnten Teil, sich plötzlich die Schere verhakte. Ein Druck zu viel, ausgeübt von einem vorwitzig voran zuckenden Ringfinger, schlug die klaffende Spreizung der Schere krachend in das sich aufbäumende Blatt und hinterließ einen hässlichen Zacken. Gleich wurde ihr die Schere in der Hand wie heißes Gift, ihre Finger schüttelten sie hektisch ab, ein kalter Schauer breitete sich vom Nacken her aus und während noch das Bild der zerstörten Stelle vielfach vergrößert vor ihren Augen pulsierte, erwog sie schnell jede Möglichkeit des weiterführenden Vorgehens. Ihre Gedanken kreisten und waren das einzig sich Rührende in der angehaltenen Bewegungslosigkeit der Szene. Als Resultat wurde die Schere aus der Schneise gezogen. Sie bestimmte, dass der Fehler zu verkraften sei, wahrscheinlich gar nicht zu sehen wäre unter den vielen umtriebigen Enden der Lampenpflanze und beendete den Auftrag des Bögenschneidens.
Für die erste Blüte dann öffnete sie sanft die Schenkel der Schere und schnitt mit angehaltenem Atem die erste Kurve in den Bogen. Sich stets vor jedem Schritt erst die gewünschte Form der Halme, Schnörkel und Stempel bewusst machend, fuhr sie fort und die Streifen verwandelten sich in Sträucher. Kaskaden mit den unterschiedlichsten Schmückungen aus Knospen, Dolden und Farnen entstanden. Die Schere schnitt Fasern, die sich gerade um eine schwere, in Zacken sich öffnende, Knospe herumlegen sollten, als es geschah – sie glitt an einer haarnadelförmigen Enge ab und riss den gesamten so mühevoll bearbeiteten Arm des Papierstreifens weg.
Eine Woge wie ein sengendes Lauffeuer fuhr durch ihren Körper, schnalzte die Schere aus den klammen Fingern und warf sie auf ihren strumpfseidenen Schenkel, auf dem sie abprallend ein blutendes Löchlein hinterließ. Mit einem Schlag kam sie auf die Beine, nahm alles was aus Papier bestand in ihre Hände und zerquetschte alle Blüten, Dolden und Stauden, sämtliche Kringel, Schnörkel und Bögen, alle Knospen und Stempel in einer einzigen, boshaften und sämtliche Kraft freilassenden Bewegung. Knautschte was das Zeug hielt. Machte alles kaputt. Rupfte und drückte, bis das ganze Gebilde zu einem einzigen runden Gestrüpp verkommen war, das sich mit allen Höhlungen, Zwischenräumen und unregelmäßigen Haufen wie ein Nest ausnahm.
Dann ließ sie alles liegen, löschte das Licht und verließ den Raum.
Geschrieben von: Leno Ghio.