Und nächtlich schrillt das Martinshorn

Sie retten Leben, während andere schlafen: Die Lautschrift hat die Johanniter-Unfall-Hilfe eine Nacht begleitet.

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Zehn Tage altes Baby mit Atemnot.« Michael Adler* reißt das Steuer des Rettungswagens 7181 herum. Mit hoher Geschwindigkeit machen sich er und sein Kollege, Fabian Waldmann*, auf den Weg zum Einsatzort. Das Blaulicht durchzuckt die Abenddämmerung. Lautes Einsatzsignal trifft auf abendliche Stille. Normalerweise endet die Nachtschicht um sieben Uhr. Heute wird sie länger dauern.

Die Männer in den rot-gelben Jacken erreichen ein Wohngebiet im Galgenbergviertel. Vor dem ockerfarbenen Mehrfamilienhaus, in das sie gerufen wurden, steht bereits der Notarztwagen. Adler und Waldmann rennen in den zweiten Stock – sie dürfen jetzt keine Zeit verlieren. Die Wohnungstüre steht offen. In dem engen Flur wartet die Mutter des Babys mit zitternden Händen, während ihr Partner hektisch durch die Drei-Zimmer-Wohnung irrt und Kleidungsstücke in eine Tasche packt. Der Fernseher läuft und wird von einem Berg an Knabbersachen verdeckt. Im Schlafzimmer redet der Notarzt beruhigend auf das Neugeborene ein: »Ist doch alles gut.« Dann wendet er sich an die Rettungsassistenten: »Es hat erbrochen und dann aspiriert. « Das bedeutet, dass der Säugling erbrechen musste und dann keine Luft mehr bekam. »Babys werden schnell blau, da sorgen sich die Eltern natürlich«, sagt Adler. Apathisch wickelt die Mutter ihren Säugling in eine pastellfarbene Decke.

Adler schlängelt den Rettungstransporter durch Regensburg, vorbei an den Arcaden und am Justizgebäude zum Hedwig- Krankenhaus – kranke Kinder werden dort eingeliefert. Die Straßen sind wie ausgestorben.

»Mit Blaulicht in die Obertraublinger Straße«

In dieser Nacht sitzt Adler am Steuer. Das heißt, dass Waldmann sich im Falle eines Einsatzes während der Fahrt um die Patienten kümmert. Der Beifahrer muss als Rettungsassistent ausgebildet sein – er trägt die Verantwortung. Damit hat er eine aufwendigere und längere Ausbildung durchlaufen als ein Rettungssanitäter. Er absolviert mehrere hundert Stunden Zusatzausbildung und muss eine staatliche Prüfung ablegen – erst dann darf er sich Rettungsassistent nennen. Neben Waldmann und Adler arbeiten noch sieben weitere Rettungskräfte hauptamtlich bei den Johannitern in Regensburg. Dazu kommen weitere 50 Ehrenamtliche.

Waldmann beißt genüsslich in seinen Burger und nimmt einen Schluck von seinem Smoothie, es ist 24 Uhr. Im McDonald‘s im Westenviertel stärken sich die Johanniter. Sie hoffen, sich danach in den Bereitschaftsräumen in der Einsatzzentrale ausruhen zu können. Daraus wird nichts. »Mit Blaulicht in die Obertraublinger Straße«, gibt Waldmann das Kommando aus dem Funk weiter. Und die Pause ist vorbei.

Mitten im Chaos sitzt ein Mann starr auf dem Sofa

In der Wohnung, die die Johanniter betreten, laufen sie gegen eine Wand aus Rauch. Der riesige Fernseher an der gegenüber liegenden Seite des Zimmers ist kaum zu erkennen. Soft-Drinks und zahlreiche Zigarettenstummel liegen auf dem Wohnzimmertisch. Der Computer-Bildschirm zeigt, dass eben noch eine Konversation auf Facebook geführt wurde. Ein Mann sitzt starr auf dem Sofa.

»Mein linker Arm ist taub. Und mein hfsdfbsmhdg Gesicht«, sagt der über zwei Meter große Patient leise. Die Johanniter untersuchen seine Reflexe, messen den Blutdruck. Seine Frau läuft durch die Wohnung und räumt auf: Fantaflaschen, Chips und Kleidungsstücke. Dabei murmelt sie ihrer Tochter unverständliche Worte zu. Das Mädchen steht hilflos im Raum und sieht immer wieder zu ihrem Vater. Bei seinen Medikamenten entdeckt Adler Psychopharmaka und einen Bescheid vom Psychologen. Psychologische Probleme können einen Schlaganfall auslösen, wird Adler später erklären. »Es gibt ein Zeitfenster von maximal vier Stunden, in denen der Thrombus aufgelöst werden muss«, sagt Waldmann auf dem Weg ins Bezirkskrankenhaus.

Nicht jeder Notfall-Patient kommt in ein Klinikum. »Wir bringen zwar alle ins Krankenhaus, wenn aber jemand nicht zur Behandlung gefahren werden möchte, muss er das unterschreiben. Derjenige trägt dann auch die Verantwortung für sich selbst«, erzählt Waldmann. Er übt diesen Beruf seit zehn Jahren aus.

Aus seiner Narbe treten Kot und Blut aus

Die Kompetenz der Rettungsassistenten ist umstritten, wenn es darum geht, Medikamente zu vergeben. Es gibt keine Regelung, die besagt, dass sie Arzneimittel verabreichen dürfen – selbst in lebensbedrohlichen Situationen nicht. »Auf einer Skala von eins bis zehn – wenn zehn das schlimmste ist, was Sie sich vorstellen können – wie schlimm sind Ihre Schmerzen?«, fragt Waldmann die Patienten dann. Wenn es nicht mehr auszuhalten ist, wird der Notarzt gerufen und verabreicht die entsprechende Medizin.

Es ist Viertel vor sieben am Morgen und Adler und Waldmann ruhen sich in der Zentrale aus. Waldmann sitzt im Aufenthaltsraum an einem eckigen Tisch aus Holz, während Adler die Zeit nutzt, sich im Bad frisch zu machen. Das Morgenlicht scheint durch die Fenster. Eine turbulente Nacht liegt hinter den Männern. Plötzlich geht der Pieper los. Waldmann steht auf und stellt seine weiße Kaffeetasse auf die rote Küchenablage. »Akutes Abdomen«, sagt er, »das heißt erstmal Bauchweh.«

Im Flur des Patienten hängen Familienfotos aus besseren Zeiten. Die Johanniter betreten das Schlafzimmer, in dem ein älterer Mann liegt. Über seinem Bett hängt ein Kreuz. Er leidet unter Komplikationen einer Bauch-Operation, aus seiner Narbe tritt Blut. Und Kot. Das Zimmer ist von einem üblen Geruch erfüllt. Wenige Minuten später trifft der Notarzt ein. »Danke, dass es euch gibt«, sagt seine Frau zu den Rettungsassistenten. Sie senkt den Kopf, Tränen tropfen auf ihren hellblauen Pullover. In der Notaufnahme des St. Josef Krankenhauses empfangen Intensivärzte den Mann.

Meist erfahren Waldmann und Adler nicht, was mit den Patienten geschieht. »Manchmal erkundigen wir uns nach ihnen – wir lernen ja auch daraus«, sagt Waldmann. Zurück in der Einsatzzentrale fährt Adler den Rettungswagen in die Waschstraße, Waldmann geht ins Bereitschaftszimmer und legt seine Jacke ab. Das Johanniter-Polo-Shirt bringt er in die Wäsche. Nach 13 Stunden ist auch die Arbeit der Nachtschicht im Rettungswagen 7181 beendet.

* Namen von der Redaktion geändert

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