Und im Gleichschritt: die Poeten
Die Ringvorlesung Populäre Kultur: theoretisch analysiert – didaktisch reflektiert hatte am 8. Januar den Poetry Slam zum Thema. Der ist mittlerweile im Mainstream angekommen – das hat die Texte verändert.
Lange vorher schon prangte ihr riesiges Werbebanner an der Wand gegenüber der Bushaltestelle. Als vier Poetry Slamer rund um den Regensburger Thomas Spitzer dann in der Woche vor Weihnachten ihr Buch vorstellten, füllten sie an fünf Abenden hintereinander das Studententheater der Universität. Deutschlands Poetry Slamer haben sich ein breites Publikum erschlossen, für Poesie und Tiefe lassen sie kaum noch Platz.
»Der Poetry Slam gibt sich wie eine Subkultur, ist aber sehr konformistisch«, meint der Literaturwissenschaftler und Slamer Markus Pissarek. Bei einem Vortrag der Reihe Populäre Kultur sprach er vom »Kopieren von Mustern«: Die Lyrik der bekannten und erfolgreichen Slamer sei einander angepasst und ähnlich.
Kalkulierbare Witze, eine pseudo-sozialkritische Ausrichtung sowie eine hohe Dichte von Späßen und Pointen seien typisch. Die Autoren identifizierten sich zwar mit ihren Protagonisten, bauten dann aber wieder Ironie und Distanz auf, zum Beispiel mit extrem nach oben oder unten verstellten Stimmen. Thematisch habe es früher viele »Tabutexte« gegeben, verrückte und wirre Geschichten mit viel Sex und Drogen; »virtuell«, sei das gewesen, »abgedreht« – aber oft auch gut. Heute gehe der Trend zu moderateren Themen. Im Zentrum stehe oft ein bemitleidenswertes Ich, ein Neurotiker, eine Person mit kleinen Schwächen. Häufig wählten die Autoren den Mann und seine Rolle in der modernen Gesellschaft, sein Verhältnis zu Muskeln oder seinem Bart. Die meisten Klicks auf Youtube hat derzeit der durchschnittlich männlich wirkende Autor Bybercap – mit einem Text über den Lehrer Herr Schmid.
In Jeans und T-Shirt berichtet Bybercap alias Herr Schmid aus seinem Alltag als Lehrer. Die Darstellung ist eine fast lückenlose Aneinanderreihung von Witzen über Jungen und Mädchen, die sich schlagen, petzen, jammern und im spannendsten Fall erklären, dass sie sich nicht konzentrieren könnten, weil ihr Meerschweinchen gestorben sei.
Über eine Million Klicks hat dieser Text, er ist witzig, hat also nach Pissarek genau das, was ihn in Deutschland erfolgreich macht. In den USA, dort, wo der Dichter Marc Smith 1984 den Poetry Slam geboren hat, sind die Texte nicht in erster Linie witzig, sie sind sozialkritisch und die Autoren halten keine Distanz zwischen sich und ihrem lyrischen Ich, das Ich des Autors und das Ich des Textes werden eins. Ähnlich wie es Thomas Spitzer und seine Kollegen bei der Vorstellung ihres Buches »Bunt und kühl« taten, hielten es auch die frühen Slamer: Sie ließen sich von einer Jazz-Band begleiten. Dabei standen sie aber nicht auf einer Theaterbühne sondern in Kellerkneipen und Bars. Im deutschsprachigen Raum gab es den ersten Slam 1994 in Berlin, seitdem hat sich einiges geändert.
Mehr als 1000 Slams gibt es mittlerweile, und das in mehr als 140 Städten. Nicht nur der WDR und Arte strahlen die Events aus, 2008 konnten sogar die Zuschauer von Sat.1 und Pro Sieben verfolgen, wie Dichter in der ganzen Republik miteinander wettstreiten – auf einer Reise mit Sarah Kuttner.
»Der WDR-Slam ist letztendlich gar kein Slam mehr«, sagt Pissarek, denn da könne nicht mehr jeder mitmachen. Das gelte auch für die meisten anderen, zum Beispiel für den »Munich-Slam« im Münchner »Substanz«. Er gilt vielen als der größte Poetry Europas, laut Pissarek ist er gar keiner: Denn dort treten ausschließlich geladene, also ausgewählte Slamer auf.
Früher entschied eine spontan aus dem Publikum gebildete Jury, welcher Text der beste ist, heute gewinnt der Autor, der den lautesten Applaus bekommt. Damals hatten Einzelurteile eine Chance, und damit außergewöhnliche und leise Texte, heute entscheidet die Masse. Es gewinnt, worauf sich alle einigen, manchmal ist das der kleinste gemeinsame Nenner.
»Die Textqualität ist nicht entscheidend für den Erfolg«, sagt Pissarek, er meint, dass die guten Texte bei den großen Slams nicht gewinnen. Keineswegs kritisiert der Literaturwissenschaftler die Kultur des Poetry Slams als solche, noch immer gebe es sehr viele gute Beiträge. Nur sei es eine Frage des Glücks, diese zu finden – und häufiger finde man sie wohl bei den kleinen Veranstaltungen. Die großen könne man schon ein paar Mal besuchen, nur irgendwann »packt man das nicht mehr«. Es würde wohl monoton.
Aus den Kellerbühnen-Künstlern, die frei und doch rhythmisch erzählten, was sie beschäftigt wurden Kalkulierer, die versuchen rasch viele Witze aneinander zu reihen. Wortakrobaten verschwanden von der Bühne und Witzebasteler erklommen diese, sie kleben nun nach vorgegebenen Schablonen Gags aneinander.
»Bauchschmerzen sind noch keine Schwangerschaft«, performte David Friedrich bei der Aufführung von »Bunt und kühl«, »und Sackhüpfen ist noch kein Eisprung«. Da kann man schon mal lachen, ähnlich, wie man auf den nächsten Witz lachen wird, den übernächsten und überübernächsten. Es ist gut, wenn sich Kultur für viele Menschen öffnet. Es ist gerecht, wenn diese mitbestimmen, was aus ihr wird. Und es ist schön, wenn viele gemeinsam lachen. Der Poetry Slam sollte Platz für ihren Humor haben. Aber nicht ausschließlich.