Atmosphärische Störungen oder «Ach, halt doch du die Klappe!»

Atmosphärische Störungen oder «Ach, halt doch du die Klappe!»

Ein gänzlich subjektiver Bericht über eine Sitzung des studentischen Konvents.

Konventsitzung 1
Sitzungsalltag in einem bayerischen Unikonvent

Ein Montagabend im Herbst. Auf dem Unigelände rüttelt Orkan Christian an den Bauzäunen. Im H 16 treffen sich um die vierzig Studierende und ein Dackel. Auf den meisten der aufgeklappten Laptops sind Facebook-Profile zu sehen. Einige Teilnehmer scheinen der Veranstaltung mit Unruhe oder aber Gelassenheit entgegen zu sehen. Die geöffneten Bierflaschen könnten beides andeuten.

Wer als Unbeteiligter den Raum betritt, dürfte Schwierigkeiten haben, mithilfe der gängigen Stereotypen die Fachrichtung der Veranstaltung zu erraten. Zu heterogen geben sich die Anwesenden. In einigen Reihen des Hörsaals dominieren Haargummis (bei Frauen wie Männern), in anderen werden Pizzaschachteln geöffnet und ein paar versprengte Teilnehmer tragen identische Poloshirts mit Bayernwappen.

Nachdem die Beschlussfähigkeit des Konvents festgestellt und der namentliche Roll-Call samt Hund geschafft ist, folgen diverse Berichte durch Mitglieder des SprecherInnenrats. Die Menge der Facebook-Aufrufe scheint sich dabei umgekehrt proportional zum Füllstand der Bierflaschen zu entwickeln.

Während der anwesende Hund eine weitere Darbietung seiner Bellkunst zum Besten gibt, erklären die beiden Protokollanten, dass sie nicht weiter nebeneinander sitzen könnten. Die Anfeindungen würden das Prozedere stören und ein korrektes Mitschreiben unmöglich machen. Als Konsequenz werden die beiden Stühle in gegenüberliegende Ecken des Raums gerückt. Der Hund ist inzwischen eingeschlafen.

Die offenen Chatfenster lassen vermuten, dass sich einzelne Konventsmitglieder quasi per Second Screen zu «bewusster Falschdarstellung» und zu anderen durch den Raum fliegenden Begriffen austauschen. Die Pizzen sind bereits vertilgt, da verbreitet sich der Duft von frischen Leberkässemmeln im Hörsaal.

Bündnis «Fair Feiern», Bettenlager und andere Themen werden besprochen. Kurz blitzt so etwas wie Sachlichkeit auf. Einer der Protokollanten beißt augenscheinlich frustriert in die gelben Stimmkarten. Es werden überarbeitete, gegenderte Anträge vorgestellt. Indes ist ein weiterer Platzwechsel der Protokollführer aus unbekannten Gründen nötig geworden. Unter lautem Klappern von Stöckelschuhabsätzen auf dem Holzfußboden trifft eine Lieferung Verlängerungskabel ein. Die Fortsetzung der digitalen Kommunikation ist damit gesichert. Erste Teilnehmer verlassen den Raum, andere steigen auf Tetris und Kartenspiele um.

Die Diskussion der Arbeitsprogramme der Referenten, um deren Verabschiedung es wohl heute gehen soll, nimmt mit jedem neuen Projektvorschlag an Fahrt auf. Neben juristischen Debatten («Das ist ein Nullargument!‘») werden Fragen grundsätzlicher Natur aufgeworfen: «Wie definierst Du Kultur?» Eine Anmerkung zur Energiesparpolitik an der Ivy League Universität Harvard verhallt im Auditorium. Der Hund ist inzwischen wieder wach.

Das Projekt «Urban Gardening» erregt die Gemüter. Anscheinend ist der Gemüseanbau durch die universitäre Hasenpopulation gefährdet. Außerdem herrscht Uneinigkeit über die Verteilung von Beetplätzen und die mögliche Teilhabe aller Studierenden am Pflanzvorgang. Die Sortenauswahl wird zum Stein des Anstoßes. Die Herren in den uniformen Poloshirts fürchten die Kultivierung illegaler Gewächse – innerhalb und außerhalb der Pflanzkübel. Schließlich wird der Hopfenanbau als mutmaßliches Zugeständnis an den umgebenden Freistaat zu einem der Ziele für das Gartenprojekt ausgerufen. Der Hinweis, dass Hopfen zu den Tiefwurzlern gehöre, mündet in einem Exkursionsvorschlag in die Holledau. Noch nie war Harvard so weit entfernt.

Der Hund kratzt sich ausgiebig. Möglicherweise Flohbefall. Die Debatte schreitet fort und ist bei der Aufarbeitung eines zurückliegenden Vorfalls auf der Landes-ASten-Konferenz angelangt. Die Wortbeiträge erreichen das Niveau eines Unfallberichts vor dem Königlich Bayerischen Amtsgericht. Einige Zwischenrufe («Halt doch du die Klappe!», «Belegt einen Deutschkurs… ihr macht nur Kack!») bewegen sich eher auf dem linguistischen Level eines Berliner U-Bahnhofs. Es geht um versandte E-Mails, verpasste Anrufe und herumgereichte Notizen. Man wartet eigentlich nur noch darauf, dass Dossiers mit belastenden Fotos zum Privat- und Parteileben der Duellanten hervorgezogen werden.

Der Hund lässt sich am Nacken kraulen und beschnuppert die leeren Bierflaschen. Im allgemeinen Vorwurfskarussell vernachlässigen einige Teilnehmer sträflich ihre Onlinespiele: GAME OVER.

 

Liebe Leserinnen und Leser, liebe Studierende,

die Tagungen des studentischen Konvents, also der Vertretung aller Studierenden der Universität, sind öffentlich. Jeder Student und jede Studentin kann an den Sitzungen teilnehmen und hat dort auch Rederecht. Demokratie heißt an solchen Prozessen aktiv zu partizipieren – notfalls auch unter Alkoholeinfluss. Zur Mitnahme von Essen und Getränken (vor allem Chips und Popcorn) wird seitens der Autorin ausdrücklich geraten.

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