Selbstbetrug aus Leidenschaft

Selbstbetrug aus Leidenschaft

Der Arbeitnehmer von heute macht nicht einfach nur seinen Job. Firmen erwarten von ihren Angestellten passionierte Hingabe. Und das heißt für die meisten von uns: Die Jagd nach dem Superlativ ist eröffnet.

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Wer durch die Stellenanzeigen der diversen Jobportale scrollt, kann an einem keinen Zweifel haben – der Arbeitsmarkt folgt den Regeln von Angebot und Nachfrage. Dabei geht es jedoch nicht um nüchterne Kennzahlen.

Kreativität, unbedingte Einsatzbereitschaft und natürlich Teamfähigkeit dürfen in den meisten Stellenbeschreibungen nicht fehlen: Emotionen als Schlüssel zum Erfolg bei der Mitarbeiterwerbung?

Eigentlich kaum verwunderlich, wenn man bedenkt, dass weitaus banalere Dinge mit den großen Gefühlen beworben werden: Die Fast-Food-Kette mit dem gelben M erklärt, sie werde geliebt; Freude am Fahren haben wir natürlich nur bei einem bayerischen Automobilhersteller und ein Rasierer weckt die Göttin in uns. Werbung setzt seit Langem erfolgreich auf Emotionen. Dabei preisen sich auch die Arbeitgeber an wie auf dem Jahrmarkt: als bestes Unternehmen oder die einzig wahre Institution, die ihren Angestellten vermeintlich alles bieten kann.

Leidenschaft als Generalforderung

Für dieses – wie auch immer geartete – Alles werden im Gegenzug Abschlüsse mit guten Noten, praktische Erfahrungen, eine Litanei an Zusatzkompetenzen und diverse Softskills verlangt. Und spätestens im Bewerbungsgespräch: Leidenschaft. Neulich habe ich eine Ausschreibung im Portal des Arbeitsamtes für einen 400-Euro-Job als Spülkraft und Aushilfskellnerin gelesen. Gefordert war nicht viel – außer natürlich »Leidenschaft für den Service«. Ich spreche keinem Angestellten in der Gastronomie die Begeisterung für seine Tätigkeit ab (so er sie denn empfindet), aber ich frage mich, was Leidenschaft noch bedeutet, wenn sie zur Generalforderung wird.

Ist eine Arbeit denn eigentlich zwangsläufig schlechter, wenn sie getan wird, um damit schlichtweg Geld zu verdienen? Anscheinend. Denn schon allein beim Formulieren dieser Frage zucke ich ein wenig zusammen. Was, wenn das hier mein zukünftiger Arbeitgeber liest? Wie werde ich antworten, wenn er mir diesen Text im Gespräch unter die Nase hält? Werde ich dann stammeln, dass es bei seiner Stelle natürlich anders ist und ich für genau diese eine Tätigkeit passionierte Begeisterung und Interesse bis hin zur Selbstaufgabe empfinde?

Wir, die unfreiwilligen Mitglieder der Generation Krise, stehen vor vielen Herausforderungen. Und es geht ja auch gar nicht darum, alles, was der Arbeitsmarkt der globalisierten und digitalen Welt von uns verlangt, zu verteufeln oder abzulehnen. Manche Veränderungen und erforderlichen Zugeständnisse werden dazu beitragen, dass wir uns tatsächlich beruflich und persönlich weiterentwickeln. Andere hingegen sind lediglich kurzzeitige Gebote des Marktes »Humankapital«, dessen dauerhaftes Funktionieren heute mehr denn je in Frage steht. Und doch nicken wir bereitwillig, wenn wir gefragt werden, ob uns auch der unbedeutendste Job in Begeisterungsstürme versetzt. Denn es ist der Glaube daran, dass genau dieses Praktikum oder dieses eine Volontariat uns den Weg ebnen und zu dem seligmachenden Zustand führen wird, der Arbeit zum Vergnügen und die alltägliche Aufgabe zum raison d’être werden lässt.

»Mama, Papa, ich will interkulturelle Projekte im Kunstbereich leiten!«

Doch das ist keine Leidenschaft. Das ist Selbstbetrug. Und ich habe ihn gehörig satt! Kein Job der Welt macht jeden Tag Spaß. Arbeit nervt, strengt an und ist, wenn morgens der Wecker klingelt, manchmal das Letzte, woran man auch nur denken mag. Was ist so schlimm daran, das einfach zuzugeben? An anderen Tagen ist es anders. Da weiß man, wofür man das alles tut, hat Erfolg, freut sich und kann am Ende sogar die Miete bezahlen. Das hört sich banal an? Das ist nichts, was nicht alle längst wissen, und das als Feststellung an diesem Platz wertlos ist? Nein! Denn wenn ich im nächsten Vorstellungsgespräch wieder gefragt werde, wie ich denn mit meiner Vita belegen kann, dass die angestrebte Position quasi mein Kindheitstraum ist, dann werde ich wieder nach Antworten suchen müssen. Als ob es ein Verbrechen wäre, dass ich nicht mit fünf von meinen Legosteinen aufgeblickt und erklärt habe: »Mama, Papa, ich will interkulturelle Projekte im Kunstbereich leiten!«

Doch genau diese Form von künstlich zielgerichteten Lebensläufen ist es, die letztlich gefordert wird, wenn allem der Stempel Leidenschaft aufgeklebt wird. Wer für alles Passion empfindet, den interessiert eigentlich gar nichts. Es reicht nicht mehr, etwas zu können und gut machen zu wollen. Der Superlativ ist zum Standard geworden. Alle wollen die Besten. Und so gerieren wir uns zwanghaft als Overachiever voller Sehnsucht danach, die an uns gestellten Erwartungen zu übertreffen. Dadurch werden manche reich, einige drogenabhängig und wenige glücklich. Der Drang zur Übertreibung geht so weit, dass wir, wenn es denn schon partout beim Beruf nicht klappen will, alles andere zur Leidenschaft erklären. Heute macht keiner mehr Nudeln, sondern ist passionierter Koch. Man verliert sich in Romanwelten, anstatt einfach gern Bücher zu lesen und wer ab und an mal ins Kino geht, ist ein Cineast.

Das nächste große Ding

Macht uns die so reich nach außen zur Schau getragene Begeisterung blind für das, was jedem einzelnen tatsächlich wichtig ist? Für mich heißt Freiheit nicht nur, Dinge tun zu dürfen, sondern gerade auch manches nicht zu müssen. Ich möchte eine Arbeit finden, die mir etwas bedeutet und die ich gern und gut mache; verreisen will ich, weil ich die Welt sehen will. Einfach nur so. Ganz ohne daraus den letzten Sinn, die absolute Erfüllung und die ultimative Leidenschaft meiner Gesamtexistenz ziehen zu müssen. Und dabei entdecke ich dann vielleicht auch, was ich für wirklich relevant halte und was dann auch den Titel Leidenschaft verdient.

Vielleicht liegt die wahre Leidenschaft ja in einem Bekenntnis zur passionierten Leidenschaftslosigkeit. Aber bitte nicht verraten! Möglicherweise ist diese Ansicht ja das nächste große Ding und dann sollte ich natürlich die Erste sein, die diese Idee hatte. Schließlich will ich ja die Beste sein. Wie alle anderen auch.

Der Text erschien in der „Grenzen“-Ausgabe.

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