stories | Mașină defect
Frühjahr 1990 in Deutschland. Mir wird schlecht bei den Bildern über die unmenschlichen Verhältnisse in rumänischen Kinderheimen. Alte, große Herrenhäuser mit dunklen Verschlägen, in denen Kinder im eigenen Dreck sterben. Ich glaube, den Sinn meines Lebens gefunden zu haben.
Wackersdorfer Schlägertrupps hatten mich eine gesunde Abneigung gegen jeglichen uniformierten Staatsträger entwickeln lassen. Aber die Arbeit beim Malteser Hilfsdienst, das Herumkarren von muffigen Alten, die sich über meinen mangelnden Haarschnitt beschweren, genügt meinem Ideal des Weltretters nicht.
In diesen Tagen erscheint in der Leitstelle ein hochgewachsener Mann mit großen Händen. Der unrasierte Kerl um die Fünfzig unterbreitet meinem Chef einen Vorschlag. „Bei den Lehrern meiner Kinder habe ich angeleiert, dass sie Klamotten, Schuhe, Stofftiere, Milchpulver und so sammeln.“ Er streicht sich das halblange Haar hinters Ohr. „Die schnüren auch kleine Tütchen mit Süßigkeiten im Handarbeitsunterricht.“ Ich verfolge, wie seine Hände dabei kleine Päckchen formen. „Hab einen kleinen Bus und bring das Zeug auch in die Kinderheime, wenn die Malteser die Fahrt zahlen. Lässt sich da was machen?“ Meinem Chef gefällt sein Enthusiasmus. Beeindruckt von seiner unkonventionellen Art und der aufrichtigen Haltung stolpert es aus mir heraus: „Brauchen Sie einen Begleiter?“ Anscheinend auf diese Frage gefasst, sieht er mir streng in die Augen: „Wenn Sie das mit dem ‚Sie‘ bleiben lassen können.“ Dann grinst er breit, hält mir seine Hand hin: „Walter, ich bin Walter.“ Ich wische meine schweißnasse Hand an meiner Jeans ab, um einzuschlagen.
Ich belade seinen blauen T4 bis unters Dach mit Kisten. Walter drückt mir einen Kasten bayerisches Bier und einige Tafeln Schokolade in die Hände mit dem Satz: „Niemals ohne Bakschisch reisen!“ Wir starten frühmorgens. Die meiste Zeit lässt er mich fahren, nur vor dem Grenzübergang tauschen wir Platz. Den ungarischen Zöllner begrüßt Walter mit einem freundlichen „Jó napot!“ Auf dem Armaturenbrett liegen schon zwei Tafeln Schokolade bereit. In weniger als zwanzig Minuten können wir passieren. Die Landschaft wird immer flacher, die Wege immer schlechter. Ich lausche Walters Geschichten über seine Reise durch Pakistan. Auf reinen Staubstraßen fahren wir dahin, die im Rückspiegel einen Sandsturm hinterlassen, der alles verschluckt was hinter uns liegt. Überholen alte Männer, die neben ihrem Zugpferd trotten, und bekopftuchte Weiblein, die bucklig auf dem Wagen sitzen. Motorisierte Verkehrsmittel werden zur Seltenheit.
„Wir fahren über Szeged. Alle fahren über Oradea. Da müssen wir nur ewig warten!“ Ich nicke Walter zu und versuche, die seltsamen Namen auf der Karte zu finden. Als wir den verlassenen Grenzübergang erreichen, grüßt Walter wieder freundlich, diesmal mit „Bună ziua!“, aber der schnauzbärtige Rumäne hält sich bedeckt, blickt kritisch unter der blauen Schirmmütze auf unsere Dokumente.
Die Überprüfung der Unterlagen dauert schon über eine Stunde. Im Zollgebäude versuchen wir, uns auf dreckigen Toiletten frisch zu machen. Im Büro der Grenzer sieht Walter eine Kaffeemaschine, fragt in einer Mischung aus Englisch, Ungarisch und Italienisch, ob wir einen Kaffee bekommen könnten. Der Schnauzbärtige bellt, ohne uns anzusehen, ein „Mașină defect!“ Dann grinst er mit gelben Zähnen über die Schulter seinen Kollegen an und schlürft Kaffee. Bis dahin habe ich Walter wegen seiner Geduld bewundert. Jetzt ist er sauer. Lehnt sich auf seine Hände gestützt über den Tresen, macht aber doch eine schnelle Kehrtwendung, marschiert zurück zum Bus, bleibt stumm am Lenkrad sitzen. Ich hocke daneben und weiß nichts zu sagen.
Hinter uns hat sich in der Zwischenzeit ein rumänischer LKW eingereiht. Der Grenzer kommt ans Fahrerfenster. Gibt Walter mit einer weiten Armbewegung zu verstehen, er solle den Weg frei machen. Er solle neben dem Gebäude parken. Walter dreht den Zündschlüssel, sieht mich mit hochgezogenen Augenbrauen an und lässt den Bus mit einem Ruck absterben. „Mașină defect!“ wiederholt Walter in gleicher Melodie wie der Schnauzer zuvor. Blickt ihm ins Gesicht.
Text von Stefanie Landzettel