stories | Games without Frontiers
Ich stehe an dieser Bushaltestelle, acht Uhr dreißig, zwei Schritte entfernt von der Dunkelhaarigen mit geiler Oberweite und mp3-Player im Ohr. Lasse mir, während ich tief einatme, nochmal Richies Ausführungen durch den Kopf gehen, warum er eigentlich so immensen Erfolg bei Frauen habe.
Das ist wie ein Spiel. Du musst die Frau führen, so einfach ist das. Die Frau will geführt werden.
Gut, Richie, denke ich mir. Dann spielen wir eben nach deinen Regeln.
Ich platziere mich lässig, etwas zur Seite geneigt, direkt neben das Mädchen. Das klassische Taschentuch-Opening: „Hey, hast du mal ein Tempo?“ Geht immer und überall. Wichtig, nicht zu frontal. Ein fester Blick in ihre Augen, dann in ihr Dekolleté, auf die Brüste, die ihr enganliegendes Top spannen und meinen Atem stocken lassen. Du kannst das Opening versauen, aber das Wichtigste ist, dass du entspannt bleibst. Die Dunkelhaarige zieht die Ohrstöpsel heraus und hebt ihre Augenbrauen ein winziges Stück nach oben, sodass sich kleine Fältchen auf ihrer hellen Stirn bilden. „Äh… nee… hab keins.“ Laber einfach weiter, ihr beide wisst schließlich, worauf das hinausläuft. Situation auflockern. Ich zupfe an meinem Spider-Man-Shirt und wische den Schweiß von meinen Schläfen. Mir fällt wieder ein, was Richie in Folge 67 vorgeschlagen hatte: Einfach nach vorne preschen. Nicht zu viel denken. Damit knackst du alle. Die Menge der Wartenden an der Haltestelle vergrößert sich und als wir enger zusammenrücken müssen, flüstere ich in ihr Ohr. „Hör mal, ich, ähm… du bist echt scharf…“ Du musst einfach von Anfang an klar machen, dass du derjenige bist, der weiß, was er will. Sie klammert sich an ihren Handtaschenriemen und presst die Lippen aufeinander. Völlig normal, die sind am Anfang immer platt. Ich sehe an ihr herunter, betrachte den Körper. Superman müsste man sein, ‚X-Ray-Visions on the max‘. Konzentriere dich auf ihr Gesicht. Meine Hände werden feucht und ich will einen neuen Anlauf starten, wobei ich versuche, meine rumorenden Eingeweide zu ignorieren. Reboote auch mal, wenn es nicht gleich funktioniert. Du musst die Grenzen setzen. Na schön.
„Ich will dein Handy… also, deine Handynummer haben…“ Entsetzt muss ich feststellen, dass meine Stimme brüchig geworden ist und ein Kloß meinen Rachen blockiert, die Dunkelhaarige jedoch macht sich daran, Abstand von mir zu gewinnen. „Ich will ja nichts sagen, aber du nervst ein bisschen…“ Du musst sie weichklopfen! Es gibt Strategien, die kannst du anwenden und dann kriegst du sie innerhalb von einer halben Stunde ins Bett. Dafür gebe ich meinen Abonnenten die absolute Garantie!
Ihr Brustkorb hebt sich, die Furchen auf ihrer Stirn werden tiefer. Ich habe das Bild von Richies Elvis-Frisur vor Augen, ein Turm aus Haarspray und Gel. Ich will ihn anflehen, will, dass er neben mir steht und mir hilft, mir erklärt, was er denn mit weichklopfen meine; in Gedanken spule ich all seine Youtube-Videos ab, in denen er, mit Anzug und Krawatte, mehrere Stunden lang die Psyche von Frauen erklärt.
Die wollen alle nur das eine. Alle Frauen wollen diese Arschlöcher, die einfach wissen, wo es langgeht. Ich sauge Luft durch meine Nase. Just do it. Dann lasse ich meine Fingerkuppen langsam über ihre Taille und ihren Hintern gleiten. „Du bist… geil…“ Sei einfach selbstbewusst, nimm sie an die Leine!
Im selben Moment holt sie mit ihrer flachen Hand aus. In der ganzen Straße ist der Widerhall einer saftigen Backpfeife zu hören, meine Wange pulsiert, die Hälfte meines Gesichts ist taub, Passanten drehen sich um, Wartende drängen weg von uns, tuscheln.
Ich wanke, mir schießen Tränen in die Augen und ich stammle, an das Haltestellenschild gelehnt: „Man… ich wollte nur deine Nummer… Gib mir einfach nur deine Nummer…„
Dann höre ich im Hintergrund den Bus. Er bremst und öffnet die Türen. Als die Dunkelhaarige im Innern des Fahrzeugs verschwindet, höre ich ihr Wüten, bevor sie schließlich ganz von mir fortgetragen wird.
„‚Hast mal ein Tempo‘… Ihr Pick-Up-Artists seid doch alle sowas von schwanzgesteuert, ohne Scheiß…“
Game over. Ich torkle. Bahne mir meinen Weg durch die entgegenkommenden Fußgänger. Ich überlege mir, eine Mail an Richie zu schreiben, ‚von deinem treuesten Abonnenten‘:
„Wenn das alles wirklich ein Spiel sein soll – wo sind dann eigentlich die Schiedsrichter?“
Text von Benjamin F. Feiner