Stehlt Regensburg nicht seine Juwelen!
Die Regensburger Altstadt verändert ihr Gesicht. Vermehrt hört man von der drohenden Schließung altbekannter Kneipen, dem Einfall von Großinvestoren und Mietpreisen, die ins Unermessliche steigen. Was ist los mit dem einst so studentenfreundlichen Regensburg?
Karin Griesbeck sitzt im Schneidersitz auf dem Tresen der Bar. Ihr Blick wandert nachdenklich von den unzähligen Passfotos an der Wand über die silberglänzenden Stehtische, bis er schließlich an den roten Lampions an der Decke hängen bleibt. »Das legendärste Fest? Das ist schwierig zu sagen. Davon gab es hier viele. Die Mutter aller Feste war wohl die alternative deutsche Fußballmeisterschaft, nach der so wild gefeiert wurde, dass selbst die Lampions nicht mehr gingen«, antwortet die Betreiberin einer der bekanntesten Bars in Regensburg, der Alten Filmbühne.
Das Wohnzimmer der Studenten
Schon bald werden die asiatischen Lampen in dem Kellergewölbe ganz aus bleiben, denn die Alte Filmbühne muss ihren Standort, das Haus der Begegnung, im Februar räumen. Grund dafür ist der auslaufende Pachtvertrag zwischen der Universität Regensburg und der Brauerei Thurn und Taxis. Aus Sicht der Universitätsverwaltung seien der Barbetrieb und der daraus resultierende Lärm eine Zumutung für die Gastprofessoren, die in den rund 20 Wohnungen über der Bar untergebracht sind. Gerade die Tatsache, dass die Universität für die Schließung der Kultkneipe verantwortlich ist, stößt bei Griesbeck auf Unverständnis: »Es geht der Universität immer nur um die Professoren, aber sie versteht nicht, dass eine Universität nicht ohne ihre Studenten existieren würde. Die Studenten sind sozusagen ihre Angestellten und durch diese Aktion nehmen sie ihnen ihr Wohnzimmer.« Dass die Räumlichkeiten nach ihrer Sanierung wieder als Wohnstube für feierwütige Studenten dienen werden, schließt die Verwaltung der Universität kategorisch aus. Jedoch ist seitens der Universität auch noch nicht letztlich geklärt, wer oder wassich in Zukunft in den Kellerräumen des Hauses begegnen wird: Im Gespräch sind Fahrräder, Computer oder Austauschstudenten.
»Die Alte Filmbühne ist nicht irgendetwas«
Die Filmbühne-Chefin hat inzwischen ihren Platz hinter der Bar verlassen und läuft zwischen den Stehtischen hin und her. »Die Universität sollte stolz auf die Alte Filmbühne sein. Es ist schon eine Kunst, 30 Jahre am Puls der Zeit zu sein«, sagt Griesbeck und stellt sich wieder hinter den Tresen. Tatsächlich war das Lokal seit seiner Gründung in der Engelburgergasse und auch nach seinem Umzug 1995 in das Gebäude Hinter der Grieb, eine der populärsten Anlaufstellen für alle Liebhaber der alternativen Musikund Partyszene. Sie diente als Begegnungsstätte für ein sehr breit gefächertes und buntes Publikum und bot Platz für Fachschaftsfeste, Livekonzerte und Poetry Slams. Dabei ist die Kellerkneipe mehr als eine reine Trinkund Kulturstätte: »Die Alte Filmbühne ist nicht irgendetwas. Wir bewegen auch viel mit dem Geld, das wir einnehmen. Ein Teil des Gewinns an Silvester ging beispielsweise an Ärzte ohne Grenzen«, sagt Griesbeck stolz. Seit 30 Jahren ist die Alte Filmbühne ein wichtiger Bestandteil ihres Lebens, den sie nicht kampflos aufgeben will. Sie war deshalb bereit, der Universität in jeder Hinsicht entgegenzukommen. Neben dem Angebot einer Pachterhöhung und der Mithilfe an Sanierungsarbeiten, mieteten die Wirte sogar die Wohnung direkt über der Kneipe an und verzichteten auf Livekonzerte. Das alles war jedoch vergebens. Briefe an die Universitätsverwaltung blieben unbeantwortet. Es herrscht Funkstille.
Griesbeck schließt die Türen ab, steigt die Stufen hinauf und fährt mit ihrem Fahrrad davon. Ihr ist bewusst, dass die Entscheidung der Universität noch weitreichendere Folgen mit sich bringt. Da es in der Regensburger Innenstadt zurzeit keine passende Ausweichimmobilie gibt, muss deshalb die ebenfalls sehr populäre Kneipe Heimat um ihre Existenz bangen. Als Inhaber des Hauses werden die Betreiber der Alten Filmbühne von ihrem Recht als Verpächter Gebrauch machen und die Alte Filmbühne in diese Räumlichkeiten unterbringen.
Auch in der Öffentlichkeit schlägt der Beschluss höhere Wellen als erwartet. Längst hat sich die Politik dem Thema angenommen. Die Piraten, die Jungen Liberalen und die Grüne Jugend gingen zusammen auf die Straße, um auf das Kneipensterben in Regensburg aufmerksam zu machen. In der Tat ist in Regensburg der Trend sichtbar, dass immer mehr alteingesessene Wirte ihre Lokale schließen oder aus dem Altstadtkern ziehen müssen. Das Haus, in dem die Banane und die Orange Bar ihren Stammsitz haben, ist verkauft. Der Bau von Wohnungen ist geplant. Die Cafébar in der Gesandtenstraße soll nach 27 Jahren geschlossen werden. Aus dem alten Flannigans wurde Franky’s American Sportsbar. Plan 9 wechselte ans andere Ufer der Donau.
Das Kneipensterben ist symptomatisch für Gentrifizierung
Aber das Kneipensterben ist nicht die einzige Entwicklung, die die Veranstalter der Demo anprangerten. Für sie ist es vielmehr ein Teilaspekt eines Prozesses, der im Fachbereich der Stadtsoziologie als Gentrifizierung bezeichnet wird. Auch Franziska Hilbrandt, die Sprecherin der Studierendenvertretung, ist der Meinung, dass »der Wegfall dieser Kneipen aus der Altstadt symptomatisch für den Prozess der Gentrifizierung« ist. Der Begriff, der zurzeit des Öfteren in den Medien Erwähnung findet, wird auch immer häufiger in Verbindung mit Regensburg gebracht – wie zum Beispiel in einem kürzlich ausgestrahlten Beitrag der Sendung quer im Bayerischen Rundfunk. Aber was genau ist Gentrifizierung eigentlich? Am leichtesten lässt sich dies am Beispiel der Goldenen Bärenstraße 10 erklären, der Heimat der Banane. In der Regel läuft dieser Umstrukturierungsprozess immer nach einem ähnlichen Muster ab. Ein Stadtteil oder eine Straße mit billigen Mietpreisen und attraktiver Lage zieht Studenten, Künstler und in unserem Fall auch Wirte an. Da der Standort dadurch kulturelle Aufwertung erfährt und gut situiert ist, interessieren sich Investoren für die Immobilien und kaufen diese auf. Die Häuser und Wohnungen werden in der Folge saniert und verschönert, um zahlungsfähige Mieter anzulocken. Die alteingesessene Mieterschaft muss den Platz räumen und ist gezwungen aus dem Gebiet wegzuziehen. Einkommensschwächere und einkommensstärkere Bevölkerungsschichten werden dadurch regional voneinander getrennt. Obwohl dieser Prozess im Fall der Goldenen Bärenstraße 10 weder endgültig benoch abgeschlossen ist, haben viele andere Häuser im Stadtkern diese Entwicklung bereits durchlaufen.
»Studenten werden zugleich Opfer und Täter«
»Meistens geschieht alles still und heimlich. Die Bewohner des Hauses werden von den Investoren ausgezahlt und ziehen weg«, sagt Kurt Schindler, der Vorsitzende des Mieterbundes Regensburg e.V. Er war der Erste, der den Begriff der Gentrifizierung in Zusammenhang mit Regensburg brachte und die Verdrängungsvorgänge in der Altstadt genauer recherchierte. Die Dokumentation des Mieterbundes mit dem Titel »Tatort Altstadt« zeigt zum einen die kontinuierliche Entwicklung, dass öffentlich geförderte Mietwohnungen durch Eigentumswohnungen ersetzt werden, und zum anderen den drastischen Anstieg der Mietpreise: die durchschnittliche Nettomiete in der Altstadt ist in den Jahren 2000 bis 2012 um fast 35 Prozent angestiegen.
Dafür gibt es mehrere Gründe: Viele Investoren sind aufgrund der Weltwirtschaftskrise verunsichert und stehen plötzlich unter Druck. Aus Angst vor Inflation investieren sie ihr Geld anstatt an der Börse in Immobilien, die als relativ sichere Anlagen gelten. Außerdem erhält Regensburg als Wirtschaftsstandort und Studentenstadt einen stetigen Anwohnerzuwachs, der eine große Wohnungsnachfrage mit sich bringt. Wegen ihrer hohen Fluktuation werden »Studenten Opfer und gleichzeitig auch Täter«, erklärt Schindler. »Bei jeder Neuvermietung einer Wohnung wird in der Regel, da es Vertragsfreiheit gibt, eine höhere Miete vereinbart. Akzeptiert der wohnungssuchende Student die Miethöhe nicht, warten schon andere.« Alle leiden unter der Knappheit an bezahlbarem Wohnraum.
Als die Sanierung der Regensburger Altstadt in den 50er Jahren seinen Anfang nahm, wurde die Erneuerung der historischen Häuser noch durchwegs positiv bewertet. Als bundesweites Novum erlangte der Regensburger Sanierungsplan Vorbildcharakter unter den deutschen Städten. Anders als heute stand damals noch der Mensch im Mittelpunkt und nicht die Profitmaximierung. Deshalb wurden in den 70ern bestimmte Grundsätze für den Sozialplan beschlossen, die garantieren sollten, dass die Altstadt »Wohn-und Lebensraum für alle« bleibt. Dadurch sollte ein regulierter Wohnungsmarkt entstehen und vermieden werden, dass Ortsansässige aus ihrem gewohnten Wohnumfeld gerissen werden. Obwohl die Gültigkeit dieser sozialen Grundsätze 2010 nochmals durch den Stadtrat bestätigt wurde, sind sie heute kaum mehr Griff hat« und den Großinvestoren freie Hand lasse.
Möglicherweise ist der Stadt auch nicht bewusst, welche gravierenden sozialen und politischen Folgen solch ein Wandel der Stadtgesellschaft verursachen kann. Die Palette reicht von Einzelschicksalen, besonders von älteren Menschen, die sich nur schwer in einer neuen sozialen Umgebung zurechtfinden, bis hin zur Bildung sozialer Brennpunkte an den Stadträndern und einer Ghettoisierung bestimmter Stadtteile.
Wem gehört eigentlich eine Stadt?
In einem Antwortbrief auf die Dokumentation des Mieterbundes bestätigte Oberbürgermeister Hans Schaidinger zwar einen erheblichen Anstieg der Mietpreise, bezweifelte aber, dass diese »tatsächlich zu einem Prozess der Gentrifizierung führen« würden. Diese ist ein sehr komplexer Prozess, der sich aus der Verbindung vieler verschiedener Faktoren zusammensetzt, weshalb es sehr schwierig ist, Wege zu finden, um ihr entgegenzuwirken. Schindler appelliert dennoch insbesondere an die Univerwaltung: »Man sollte aufhören aus dem ganzen Bundesgebiet Studierende anzuwerben. Das ist wohnungspolitisch nicht mehr zu bewältigen. Zudem vermisse ich, dass sich die Uni kommunalpolitisch engagiert. Von einer Bürger-Universität kann momentan keine Rede sein.« Inwieweit sich der Austausch der sozialen Schichten in der Regensburger Altstadt entwickelt, wird sich zeigen.
Am Schluss bleibt eine entscheidende Frage: Wem gehört eine Stadt? Nur denen, die es sich leisten können? Oder allen? Karin Griesbeck hat sich ihre Meinung bereits gebildet: »Eine Stadt lebt von ihren Widersprüchen.« Ohne eine gesunde Durchmischung der Bevölkerung wird wohl jede Stadt früher oder später zum Scheitern verurteilt sein.
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»Jetzt ist Schluss!«
Ein Gespräch mit dem Kanzler der Uni, Christian Blomeyer, über die Filmbühne-Entscheidung.
Hätten Sie gedacht, dass der Beschluss der Uni, den Pachtvertrag der Filmbühne nicht zu verlängern, so viel Aufsehen erregen würde?
Ja, das haben wir erwartet. Obwohl es anfangs danach aussah, dass die Betreiber ohne großes Aufsehen räumen würden, hat sich die Situation geändert. Als sie gemerkt haben, dass sich Protest regt, sind sie sofort auf diesen Zug aufgesprungen.
Warum waren Sie nicht bereit, sich mit der Betreiberin zu treffen, um einen Kompromiss zu finden?
Das Verhältnis ist schon längere Zeit zerrüttet. Die ursprüngliche Vertragslaufzeit war zehn Jahre. Leider hatten die Pächter eine Verlängerungsoption von fünf Jahren, die sie in Anspruch genommen haben. Schon damals wurde Ihnen mitgeteilt, dass eine weitere Verlängerung nicht erfolgen wird. Jetzt ist Schluss. Ich will noch einmal betonen, dass wir nicht gekündigt haben, sondern der Vertrag ausgelaufen ist.
Hätte es nicht eine Alternative gegeben?
Diese Mischung aus Wohnhaus für unsere ausländischen Gäste und Kneipe verträgt sich prinzipiell nicht. Die Hausordnung im Haus der Begegnung sieht vor, dass um zehn Uhr Nachtruhe ist. Man hätte von Anfang an sehen müssen, dass eine Bar nicht in ein solches Haus passt. Das war unser Fehler.
Findet in der Altstadt Gentrifizierung statt?
Nein. Der Anteil an Single-Haushalten ist in Regensburg der höchste in ganz Deutschland und der Altersdurchschnitt der Bevölkerung ist sehr niedrig.
Text und Interview: Michaela Schwinn
Foto: Pia Weishäupl