Mit 30 Leuten in der Vorlesung – vor 30000 im Stadion
Oliver Hein (22) spielt beim Jahn Regensburg im defensiven Mittelfeld. An der Universität Regensburg studiert er neben seiner Karriere als Fußballprofi Mathematik. Mit der Lautschrift spricht er über sein Leben zwischen Stadion und Hörsaal.
Olli, was wird schwieriger: dein Mathematikstudium oder der Klassenerhalt mit dem Jahn in dieser Saison?
Anhand der momentanen Situation ist der Klassenerhalt auf jeden Fall eine große Aufgabe für unsere Mannschaft und den ganzen Verein. Jeder Einzelne muss da mehr bringen als in der Vorrunde und die Mannschaft muss hauptsächlich im Kollektiv besser funktionieren. Wir haben ganz bestimmt die Möglichkeit mit unserer Mannschaft in der Zweiten Liga zu bleiben. Wir haben gesehen, dass wir spielerisch mithalten können.
Wie schwer ist es nach einem anstrengenden Training noch in die Uni zu gehen?
Das ist sehr anstrengend. Aber meine Motivation ist, meinen Abschluss zu machen. Ich studiere ja nicht, um Studiengebühren zu zahlen. Da ich ein Fernstudium mache, kann ich mir den Aufwand aber relativ gut einteilen. Vorgegeben ist, dass man drei bis vier Stunden pro Tag mit seinem Studium beschäftigt sein soll. Wie jeder Student mache ich mal mehr und mal weniger.
Bist du auch im Spiel der Stratege, der alle Spielsituationen durchrechnet?
Das Schöne an der Mathematik ist, dass es für alle Probleme eine Lösung gibt. Das ist im Fußball nicht so. Da gibt es für ein Problem mehrere Lösungen. Darin liegt der Unterschied zwischen Fußball und Mathe. Sicher spiele ich auf einer Position, auf der man mental fit sein muss. Es spielt sich ja überall um einen herum, hinten, vorne, rechts und links, einiges ab. Mit meinem Studium habe ich da einen guten Ausgleich und das tut mir ganz gut.
Erhältst du von den Professoren einen kleinen Bonus, weil sie wissen, dass du als Profifußballer viel unterwegs bist?
Ich bin ein ganz normaler Student. Als ich noch Sport studiert habe, wussten viele am Anfang gar nicht, dass ich beim Jahn spiele. Ich habe mich da auch immer zurückgehalten. Ich bin nicht der Typ, der unbedingt im Mittelpunkt stehen will. Den Bonus habe ich auch nie gebraucht. Bei den Prüfungen war ich immer gut vorbereitet und die habe ich dann auch ohne Bonus gut bestanden.
Du verdienst als Zweitligaprofi mehr als die meisten anderen Studenten. Kommen da bei dir nicht Zweifel auf, warum du überhaupt noch studierst?
Klar denke ich mir das ab und zu. Aber ich weiß, dass das nur die eine Seite der Medaille ist. Die Kehrseite schaut anders aus, besonders wenn man älter wird. Aber ich bin mittlerweile soweit, dass ich einen konkreten Lebensplan habe. Ich bin keiner, der vor sich hin lebt. Und nur mit Fußball sein Geld zu verdienen, funktioniert nicht oder zumindest nur dann, wenn man den großen Sprung schafft. Für mich wird es sehr, sehr schwer, den Sprung nach ganz oben zu schaffen. Da bleibe ich realistisch. Es war auch nie mein Ziel. Ich spiele Fußball, weil es mir Spaß macht. Was dann nebenbei herausspringt, ist, wie man in Bayern sagt, ein Zuckerl.
Was wäre dein Plan gewesen, wenn es mit dem Fußball nicht geklappt hätte?
Ich wäre mit ziemlicher Sicherheit Lehrer für Mathematik und Sport geworden. Das Studium habe ich sogar noch begonnen. Da war ich zwar schon im Profikader, aber ich habe noch nicht gewusst, ob ich wirklich den Durchbruch schaffe. Leider habe ich das Studium aber aufgrund von Zeitmangel wieder schnell auf Eis gelegt, weil es sehr schwer war, die Anwesenheitspflicht bei den Sportkursen zu erfüllen. Zum Glück war die Entscheidung, das Lehramtsstudium abzubrechen, im Nachhinein die richtige.
Was steht bei dir momentan an erster Stelle: dein Studium oder deine Profikarriere?
Ich glaube, ich habe da einen guten Mittelweg für mich gefunden. Momentan ist der Fußball für mich sicher wichtiger, vor allem weil mir das Spielen wahnsinnig Spaß macht. Beim Fußball bin ich auf dem Platz ich selbst. Vor allem letztes Jahr habe ich gesehen, dass der Sport zu mir gehört. Der Erfolg, den wir uns durch harte Arbeit redlich verdient haben, obwohl keiner mit uns gerechnet hat, ist für mich persönlich die Erfüllung.
Kannst du als Fußballprofi noch das nächtliche Studentenleben genießen?
Partys sind seit dem Aufstieg eher Mangelware. Größtenteils geht man doch immer wieder an die Uni, um sich mit alten Freunden zu treffen, die hier studieren. Meistens aber nur zum Kaffee. So ein gewisser Ausgleich zum Fußball ist mir wichtig. Man darf sich nicht nur auf das Eine fixieren.
Wie empfindest du den Kontrast, wenn du am Wochenende noch vor 30 000 Zuschauern spielst und dann während der Woche mit 30 Kommilitonen in der Vorlesung sitzt?
Für mich ist das eine schöne Abwechslung. Klar ist es cool, vor 30 000 Zuschauern oder daheim vor vollem Haus zu spielen und die ganze Euphorie mitzunehmen. Aber ich brauche immer wieder Abstand, sonst wird es mir zu viel, vor allem weil ich das noch nicht so gewohnt bin. Mir tut es dann gut, wenn ich einfach mal unter Freunden bin und abschalten kann. Besonders schön daran ist, nicht über Fußball reden zu müssen.
Fühlst du dich unter Druck, wenn du vor so vielen Zuschauern spielst?
Druck ist natürlich immer da. Sowohl im Studium als auch im Spiel. Da ist es egal, ob ich Kreisliga oder Zweite Liga spiele. Das Entscheidende ist, mit dem Druck umgehen zu können. Ich werde oft gefragt, wie es ist, vor 30 000 Zuschauern oder vor ausverkauftem Haus zu spielen. Ob ich überhaupt höre, was die Fans schreien oder singen. Das bekomme ich natürlich vor dem Spiel mit, in der Pause und nach dem Spiel, aber wenn ich den Pfiff höre, fokussiere ich mich ganz auf den Fußball. Deswegen bin ich auch keiner, der vom Druck zusammenbricht. Ich kann mich nur an eine Situation erinnern, in der ich wirklich nervös war und zwar in der Relegation, im Rückspiel gegen Karlsruhe.
Angefangen hat deine Leidenschaft für den Fußball in deiner Heimatstadt Straubing. Du kommst aus einem familiären Umfeld, in dem Fußball schon immer wichtig war…
Ja, meine Familie war allgemein Fußballbegeistert. Meine Mutter hat Bayernliga gespielt und auch mein Vater hat höherklassig gespielt, da ist es ganz normal, dass man als Kind die meiste Zeit am Fußballplatz verbringt. Ich wurde aber nie zum Fußball gezwungen, sondern es hat mir einfach immer Spaß gemacht und das ist auch heute noch meine große Motivation.
Wie hast du später den Spagat geschafft, einerseits nicht die Schule zu vernachlässigen und andererseits im Fußball an deiner Karriere zu arbeiten?
Ich war in meiner Jugend nie das große Talent, dem zugetraut wurde mal erste oder zweite Liga zu spielen. Man hat mich unterschätzt, vielleicht wegen meiner Größe, denn ich war immer mit Abstand der Kleinste. Deswegen war für mich der Weg zum Fußballprofi nie der Einzige, sondern ich habe mich in den letzten Jahren mehr auf die Schule und die Universität konzentriert. Das Fußballspielen hat mir immer Spaß gemacht und ich habe gewusst, wenn ich die Chance habe, Profi zu werden, dann nutze ich sie.
Letztes Jahr hast du deinen bisherigen sportlichen Höhepunkt erreicht: den Aufstieg mit dem Jahn in die Zweite Bundesliga. Wie fühlt sich das an?
Der Aufstieg letztes Jahr war sicherlich das Nonplusultra in meiner Karriere. Ich hoffe, dass es nicht der einzige Höhepunkt bleibt. Das Erlebnis mit der Mannschaft, mit dem Umfeld und unter diesen Vorraussetzungen war einfach einmalig.
Welche Gedanken gingen dir durch den Kopf, als du auf dem Haidplatz vor den ganzen Fans standest?
Ich habe es eigentlich erst im Nachhinein realisiert, als ich mir wieder die Bilder angeschaut habe. Es war gigantisch und für uns schön zu sehen, dass in Regensburg viel möglich ist. Gerade weil in den Jahren davor der Zuspruch zum Jahn in der Stadt eher durchwachsen war. Daraus ziehe ich auch meine Motivation, wenn man sieht, wie viel Potential noch in dieser Stadt und in diesem Verein steckt.
Wie schwer zu verkraften waren nach dem Aufstieg die Abgänge von Markus Weinzierl und Tobias Schweinsteiger?
Für die Mannschaft waren die Abgänge sehr schade, weil beide richtige Typen waren. Gerade den Markus kenne ich schon ewig. Er hat mich zu dem gemacht, der ich heute bin. Klar schmerzen solche Abgänge immer, aber so ist der Fußball. Wenn man erfolgreich ist, bieten sich einem neue Möglichkeiten. Beim Markus kann ich nur den Hut ziehen. Er hat sich seine Möglichkeit verdient, denn die Arbeit, die er beim und für den Jahn geleistet hat, war außergewöhnlich.
Wie bewertest du den Trainerwechsel beim Jahn in der Vorrunde?
Ob das richtig war oder nicht, kann man im Endeffekt erst zum Schluss sagen. Es war eine komplizierte und unangenehme Situation mit der wir Spieler konfrontiert waren. Wir sind aber nicht die Mannschaft, die gegen den Trainer spielt. Wir fassen uns da grundsätzlich an die eigene Nase und geben immer unser Bestes für den Verein.
Was sind deine Träume als Fußballer? Worauf arbeitest du hin?
Für mich persönlich ist im nächsten Jahr das größte Ziel mit dem Jahn die Liga zu halten, weil der Jahn mein Verein ist. Hier bin ich zum Profi gereift und hier habe ich meine ersten Profischritte gemacht. Deshalb liegt mir der Verein wie auch die Fans sehr am Herzen. Den Großteil der Fans kenne ich mittlerweile vom Gesicht her, weil ich schon sehr lange hier spiele. Den Abstieg zu verhindern ist für mich absolut eine Herzensangelegenheit. Langfristig denke ich ist der Traum, wie bei jedem Fußballer, Erste Liga zu spielen.
Was stellst Du dir nach deiner aktiven Karriere als Profi vor?
Auf jeden Fall könnte ich mir vorstellen in der freien Wirtschaft zu arbeiten. Über Sponsoren hat man da als Spieler ganz gute Kontakte. Vielleicht besuche ich noch ein paar erziehungswissenschaftliche Veranstaltungen und werde wirklich noch Lehrer. Als Trainer werde ich später sicherlich nicht arbeiten, das schließe ich aus.
Das Interview führte Christoph Pflock. Foto: Katharina Brunner