Leistung durch Lampenfieber
Barbara Neuber ist Lehrkraft für Sprecherziehung. Sie bringt den Studenten in Seminaren bei, wie man deutlich artikuliert und interessante Vorträge hält. Im Lautschrift-Interview erklärt sie, dass die Ausgestaltung jedes Vortrags situationsabhängig ist und Lampenfieber sogar förderlich sein kann.
Wie bereite ich mich am besten auf einen Vortrag vor? Was muss ich beachten?
Zunächst muss ich mich über die Situation im Klaren werden, in der der Vortrag stattfindet: Was ist das für ein Publikum, mit dem ich spreche? Was müssen die Zuhörer wissen und welches Vorwissen haben sie schon? Damit kann ich einschätzen, wo ich inhaltlich überhaupt anfangen muss. Dann ist es auch wichtig zu beachten, wo der Vortrag stattfindet. Wie sieht der Raum aus? Welche Hilfsmittel habe ich zur Verfügung? Wichtig ist auch, den zeitlichen Rahmen zu
bedenken, um den Stoff dann entsprechend anpassen zu können. Meistens hat man ja eine riesige Fülle an Stoff, die man gar nicht komplett unterbringen
kann. Ich muss also überlegen, was in der Vortragsdauer möglich und was wichtig für die Zuhörer ist. Falls ich während des Vortrags merke, dass
ich noch viel Zeit habe, sollte ich noch einige Hintergrundinformationen parat haben.
Welche Methoden gibt es, um die Aufmerksamkeit der Zuhörer zu bekommen und aufrechtzuerhalten?
Das ist natürlich abhängig vom Publikum. Es ist immer gut, wenn es zwischen
meinen Zuhörern und mir eine gemeinsame Basis gibt. So kann ich einen persönlichen Bezug herstellen. Ich muss meinem Publikum zudem auch konkret sagen, warum mein Themengebiet gerade für sie von Relevanz ist; dass mein Thema vielleicht gerade für ihr Fach wichtig ist, weil es dann auch später im Berufsleben immer wieder vorkommt. Oder ist es ein Gegenstandsfeld, das sowieso jeden betrifft? Ich kann mir auch einen aktuellen Aufhänger suchen, der zum Thema passt und mit dem jeder etwas anfangen kann: »Sie haben ja heute alle in der Zeitung gelesen: SSV Jahn steigt in die zweite Bundesliga auf.« So ungefähr. Auch gerne mal etwas Witziges einfließen lassen. Ich muss mein Publikum zudem immer mit einbeziehen – mit rhetorischen oder konkreten Fragen.
Wie sieht es mit Dialekt aus? Sollte er in einem Vortrag grundsätzlich vermieden werden?
Da gehen die Meinungen auseinander. Die einen lehnen Dialekt grundsätzlich ab
und andere achten überhaupt nicht darauf. Das ist situationsabhängig. Bei einem
wissenschaftlichen Vortrag vor einem wissenschaftlichen Publikum sollte der Dialekt weitgehend reduziert werden. Wenn ich aber daheim vor meinem Verein einen Vortrag halte, dann wirkt es authentischer, wenn ich Dialekt verwende. Authentizität ist immer wichtig.
Wie vermeide ich Füllwörter und »Ähms«?
Die Grundregel ist: Pausen machen. Oft verhaspelt man sich, weil man zu
schnell spricht oder zu hektisch atmet. Zunächst sollte man sich selbst beruhigen, sich Zeit geben, um mitzudenken und den Zuhörern Zeit geben, damit sie auch aufpassen und mitdenken können. Pausen nimmt man als Sprecher immer länger wahr, als sie eigentlich sind. Ich sollte nicht versuchen, extrem langsam zu sprechen, sondern nach einem Satz oder einer Sinneinheit eine klare Pause machen. Wenn ich schnell spreche, komme ich außer Atem, muss aber schon wieder an den nächsten Satz anknüpfen und überlegen, wie ich ihn beginne. Dann kommt das »Ähm«. Ich muss auch auf die Melodieführung der Stimme achten: Am Ende einer Sinneinheit oder eines Satzes geht die Stimme nach unten, so wie im normalen Gespräch auch. Beim Vortrag macht man oft das Gegenteil und geht stattdessen mit der Stimme nach oben. Dann wirkt das Ganze wie ein endloser Fluss, man macht keine Pausen mehr und es rutschen viel mehr »Ähms« rein. Das hängt natürlich auch mit der Nervosität zusammen: Je aufgeregter man ist, desto schneller atmet man, desto schneller spricht man, desto mehr verhaspelt man sich. Und dann wird der Vortrag unverständlich.
Was kann ich gegen Lampenfieber machen? Lässt sich das vermeiden?
Ganz vermeiden lässt es sich nie. Das ist auch sinnvoll und gut, weil Lampenfieber dazu beiträgt, dass man seine ganze Konzentration auf das Thema fokussiert und es dann besser rüberbringt, als wenn man viel lockerer rangehen würde. Lampenfieber hat jeder gute Sprecher, der einen gewissen Anspruch an sich hat. Trotzdem kann man es kontrollieren. Ein wichtiger Aspekt dabei ist die Atmung. Wenn man gestresst und aufgeregt ist, setzt die Hochatmung ein. Diese Atmung erkennt man daran, dass die Schultern sich hochziehen und die Brust sich stark bewegt. Dabei ist die Atmungsfrequenz sehr hoch: Man atmet schnell, atmet weniger Luft ein und hat weniger Luft zum Sprechen. Die Hochatmung tritt immer dann ein, wenn es um Leistung geht, zum Beispiel um Flucht. Deswegen wird dann auch mehr Adrenalin ausgeschüttet: Der Puls geht hoch, man wird rot und fängt an zu schwitzen. Das sind ja alles Symptome von Lampenfieber. Man sollte sich vor Vorträgen daher entspannen, denn wenn der Schulter- und Nackenbereich verspannt ist, atmet man automatisch hoch. Auch die Bauchatmung sollte man üben. Tief ausatmen und die Luft ruhig in den Bauch fließen lassen, so dass man selbst merkt: Jetzt gehe ich mit meiner Atmung runter. Ich sollte mir auch bewusst machen, dass viele körperliche Zustände, die ich selbst wahrnehme, andere gar nicht bemerken.
Welche Körperhaltung sollte ich einnehmen und was mache ich mit meinen Händen?
Ich wirke nervös, wenn ich von einem Bein aufs andere wippe. Deswegen vorher nochmal ruhig hinstellen und darauf achten, dass ich nicht verspannt bin. Eine aufrechte Körperhaltung wirkt souverän. Ich sollte mich nicht an etwas festklammern, sondern die Hände freihalten, damit ich natürlich gestikulieren
kann. In der Regel hält man in einer Hand das Stichwortkonzept oder Skript. Die zweite Hand sollte frei sein und auf Hüfthöhe gehalten werden. Dann kommt die Gestik von alleine. Eine natürliche Gestik unterstützt auch den eigenen Sprechfluss. Und das wirkt auf das Publikum. Ich strahle viel mehr Souveränität aus. Ich fühle mich auch besser, wenn ich meine körperlichen Signale kontrollieren kann. Das erfordert natürlich Übung. Wichtig ist auch der Blickkontakt: einerseits wegen der Aufmerksamkeit und andererseits auch, damit die Zuhörer sich angesprochen fühlen.
Wie sieht es mit Medieneinsatz aus?
Nur, wenn es wirklich sinnvoll ist, sollte ich Medien zur Unterstützung meines Vortrags heranziehen. Weniger ist oft mehr, weil zu viel einfach nur ablenkt.
Wenn ich eine Präsentation verwende, auf der alles ausformuliert draufsteht, dann hört mir keiner mehr zu, weil jeder mit Lesen beschäftigt ist. Im Zentrum steht immer der Sprecher mit seinem Vortrag. Jedes Medium sollte nur unterstützen und veranschaulichen. Ich muss mich also fragen: Was kann ich mit einer Präsentation wirklich deutlicher zeigen? Gibt es Bilder oder Statistiken, die helfen, den Inhalt besser zu verstehen? Gibt es bestimmte Schlagwörter, die ganz essentiell sind und man auf einen Blick lesen kann? Es sollte alles immer auf den ersten Blick erkennbar sein. Immer gut ist es, eine Gliederung des Vortrags zu visualisieren, damit sich der Zuhörer im Vortrag orientieren kann.
Sollte man den Vortrag besser auswendig lernen oder vorlesen?
Wenn der Vortrag möglichst frei wirken soll, greift man am besten auf das Stichwortkonzept zurück: ein DIN-A5-Blatt, auf dem nur die wichtigsten Gliederungspunkte und Stichworte stehen. Keine ausformulierten Sätze. Man sollte als Sprecher auf einen Blick erkennen, wo man gerade im Vortrag ist. Das geht bei einem ausformulierten Skript nicht so gut. Den Inhalt seines Vortrags sollte man ohnehin sehr gut kennen. Ein auswendig gelernter Vortrag wirkt auch auswendig gelernt. Man muss sich Raum lassen, um natürlich zu formulieren. Ein ausformuliertes Skript würde ich nur bei einem wirklich wissenschaftlichen Vortrag mit Pult empfehlen. Dann muss ich aber auch gesprochenes Deutsch aufschreiben. Und auch üben, damit ich weiß, wie ich damit umgehen kann, damit ich auch ab und zu von meinem Skript aufsehen kann, um den Blickkontakt doch noch halten zu können. Wenn der Vortrag einigermaßen frei wirken soll, ist jedoch das Stichwortkonzept zu empfehlen.
Zur Person:
- Barbara Neuber hat sich neben ihrem Lehramstudium zur Sprecherzieherin ausbilden lassen.
- Derzeit ist sie Lehrkraft für Sprecherziehung und hält unter anderem Seminare für Studierende aller Fächer.
Interview und Illustration: Christian Basl