Wenn Geld schreiben lernt
Der Abgabetermin für die Hausarbeit rückt immer näher. Doch die Lust, sich jeden Tag in die Bibliothek zu setzen und seine Arbeit zu schreiben, hält sich in Grenzen. Als verlockender Ausweg erscheint manchem da ein Ghostwriter. Allein wer bei Google sucht, findet Dutzende solcher Angebote.
Die Antwort auf meine Anfrage kommt binnen 24 Stunden. Detailliert werden alle Leistungen aufgezählt. Sie beinhalten das Verfassen der 10 bis 15 Seiten langen Hausarbeit rechtzeitig bis zum bewusst recht kurzfristig gesetzten Abgabetermin – inklusive 24 Stunden Telefonservice, um sich über den aktuellen Stand der Arbeit informieren zu können. Das fällige Honorar von 490 Euro ist im Voraus zu bezahlen. Die fertige Arbeit kann man sich entweder per Mail zuschicken oder sich auch gleich gebunden per Post zusenden lassen.
Mit dem englischen Begriff »Ghostwriter« wird ein Autor bezeichnet, der an Stelle und im Namen einer anderen Person ein Werk schreibt. Weit verbreitet sind Ghostwriter in der Literaturwelt: Häufig unterstützt ein Ghostwriter im Auftrag des Verlages oder des Verlegers den auf dem Titel angeführten Autor, wenn dieser entweder keine Zeit hat oder ihm die schriftstellerischen Begabungen fehlen, um sein Buch selbst zu schreiben. Vor allem an autobiographischen Werken sind Ghostwriter oft beteiligt. Dies ist gängige Praxis und allgemein bekannt.
Gleiches gilt für die Politik, wo Ghostwriter ebenfalls eine große Rolle spielen. Jeder wichtige Politiker hat einen oder sogar mehrere Redenschreiber, denn kaum einer hat die Zeit, all seine Reden selbst anzufertigen. Die Redenschreiber erfinden nicht selten die prägnanten Parolen, die meistens den Politikern selbst zugerechnet werden. Der weltbekannte Wahlslogan Barack Obamas »Yes, we can« wurde zum Beispiel von dessen Redenschreiber Jon Favreau kreiert.
Ein schwerwiegender Verstoß gegen das Wissenschaftsethos
Welche Fähigkeiten muss ein guter Ghostwriter für eine solch anspruchsvolle Aufgabe mitbringen? Die erfahrene Ghostwriterin Petra Begemann weist in ihrem Ratgeber darauf hin, dass ein guter Ghostwriter bereits einige Bücher veröffentlicht haben und über journalistische Kenntnisse und Erfahrungen im Verlagswesen verfügen sollte. Zudem sollte er sehr gute sprachliche Fähigkeiten besitzen, kreativ sein und einen fundierten wissenschaftlichen Hintergrund besitzen. Außerdem sollte der Ghostwriter seinen Auftraggeber gut kennen und seine gesellschaftlichen und politischen Ansichten teilen, denn nur dann kann er die Botschaft seines Kunden überzeugend in Worte fassen.
Doch die mit Abstand wichtigste Eigenschaft eines Ghostwriters ist: absolute Diskretion. Es wäre für beinahe jeden Prominenten oder Politiker ein Horror, wenn er das in internen Arbeitssitzungen von ihm Gesagte am nächsten Morgen in der »Bild«-Zeitung lesen müsste.
Die Ghostwriter in Literatur und Politik werden als weitgehend unproblematisch angesehen. Anders sieht das in der Wissenschaft aus. Hier sind Ghostwriter ein großes Problem. Wer fremdes Gedankengut als sein eigenes ausgibt, verstößt in schwerwiegender Weise gegen die Regeln guter wissenschaftlicher Praxis. Und doch bieten zahlreiche Firmen auf diesem Feld ihre Dienste an.
Offiziell nur zu Übungszwecken
Von einfachen Hausarbeiten bis hin zu Dissertationen, in allen Bereichen des universitären Lehrangebots, von Philosophie über Medizin bis Physik ist alles gegen das entsprechende Kleingeld zu bekommen – offiziell allerdings nur zu Übungszwecken. Es liege in der Verantwortung der Kunden, was mit der Arbeit geschehe – mit diesem Satz entzieht sich die Firma Acad Write International, die Ghostwriterarbeiten anbietet, auf ihrer Internetseite geschickt der Verantwortung.
Klar, wer kauft sich denn nicht mal für knapp 3000 bis 5000 Euro eine Bachelorarbeit samt Gliederung und Literaturverzeichnis, nur um mal zu sehen, wie so eine Arbeit aussehen könnte?
Die Rechtfertigung für den Betrug wird auf der Firmenwebseite gleich mitgeliefert: Durch den Bologna-Prozess sei richtiges wissenschaftliches Arbeiten an Hochschulen für Studenten oder Doktoranden aus Zeitmangel und Arbeitsdruck kaum mehr möglich. Viele wissenschaftliche Arbeiten würden angeblich nur noch »homöopathische Dosen« an wissenschaftlichen Erkenntnissen enthalten und seien für den Professor daher so wertvoll, dass man die Arbeit gleich nach bestandener Prüfung im Altpapier entsorgen könne.
Zwar wurde im Rahmen der Bolognareform tatsächlich die Arbeitsbelastung von Studenten erhöht, aber deswegen kann man sie sicherlich von der Pflicht zum korrekten wissenschaftlichen Arbeiten entbinden. Acad Write International beleidigt den Großteil der Studenten, die sauber arbeiten und ihr Studium aus eigener Kraft auf die Reihe kriegen. Wer es ohne fremde Hilfe nicht schafft, sollte ohnehin überlegen, ob die Uni das Richtige für ihn ist.
Die Arbeit ist kein Plagiat
Studenten können nur durch Übung wissenschaftliches Arbeiten erlernen. Jeder Student, der sich seine Arbeit erkauft, vergibt eine Chance, sich selbst zu verbessern. Außerdem benachteiligt ein Student, der sich seine Hausarbeiten schreiben lässt, seine Mitstudenten: Der Dozent erhält einen falschen Eindruck von der Leistungsfähigkeit der Studenten und bewertet unter Umständen andere Arbeiten schlechter, als sie es verdient hätten.
Für die Dozenten dürfte es nicht selten schier unmöglich sein, aufzudecken, dass die Arbeit nicht das Werk des Studenten ist, sondern das eines Ghostwriters. Es handelt sich dabei ja nicht um ein Plagiat, das durch Kopieren anderer Texte entstanden ist, sondern um ein Unikat. In der Antwort auf meine elektronische Anfrage wird ausdrücklich damit geworben, dass jede Arbeit mit einer »leistungsstarken Software« auf Plagiate untersucht und noch von einem zweiten Wissenschaftler Korrektur gelesen wird.
Das Unternehmen Acad Write International, das in Deutschland, der Schweiz und Österreich tätig ist, verdient nach Angaben des Geschäftführers Thomas Nemet, der übrigens promovierter Philosoph ist, gut mit seinen Dienstleistungen. Knapp 5000 Aufträge habe man seit der Gründung im Jahre 2004 schon bearbeitet. Auch die anonymen Ghostwriter verdienen stattlich. Laut Nemet kommen die Spitzenverdiener unter ihnen auf bis zu 50.000 Euro pro Jahr – wohlgemerkt neben ihren Einkünften aus ihrem Hauptberuf. Denn fast alle der 250 für das Unternehmen tätigen Ghostwriter arbeiten als wissenschaftliche Mitarbeiter an Universitäten. Dass bei einem solchen Nebenverdienst die moralischen Bedenken auf der Strecke bleiben, ist nicht weiter verwunderlich.
Keine Garantie für gute Noten
Bleibt die Frage, warum so viele Studenten und Doktoranden auf einen Ghostwriter zurückgreifen und bereit sind, dafür viel Geld zu bezahlen. Sicherlich ist die Bolognareform daran nicht unschuldig. Gewiss, Ghostwriting gab es auch vorher schon, doch die Reform hat den Druck auf die Studenten auf gleich zwei Arten erhöht. Einerseits müssen sie ihr Studium in einer durch Bologna verkürzten Regelstudienzeit beenden (von der sowohl die Bafög-Zahlungen als auch die Zimmervergabe in den Studentenwohnheimen abhängig ist). Andererseits müssen sie das Studium auch mit möglichst guten Noten abschließen, um einen Masterstudienplatz zu bekommen.
Unabhängig davon steht aber die Frage im Raum: Wie brauchbar sind die von Ghostwritern verfassten Arbeiten eigentlich? Ist einem damit eine gute Note sicher? Eher nicht. Die meisten Ghostwriter bieten ihre Dienste anonym im Internet an. Daher ist es für den Auftraggeber unmöglich, zu beurteilen, ob der Autor auch wirklich kompetent ist. Es bleibt fraglich, ob er sorgfältig arbeitet oder ob er nicht sogar ein Plagiat anfertigt. Zwar schreibt bei Acad Write International nach eigenen Angaben ein Akademiker, der sich mit dem zu bearbeitenden Thema auskennt – aber wer kann das überprüfen?
Und nicht zu vergessen: Sollte die Arbeit schlecht benotet oder gar als Plagiat entlarvt werden und man deshalb durchfallen, ist man sein Geld trotzdem los.
Text: Christoph Pflock
Grafik: Christian Basl
Der Text erschien im Sommer in der glauben-Ausgabe.