stories | aus der Schreibwerkstatt
Dass man an diesem Ort Gott vergeblich suchte, sah man spätestens, wenn man dem verlassenen, krummen Pfad zwischen den hässlichen, moosüberwachsenen Mauerresten gefolgt war.
Ich starrte hinauf zu dem kunstvoll geschwungenen Torbogen, halb verwittert und mit Fratzen grässlicher Gestalten ließ er mich frösteln. Doch irgendetwas bannte mich. Ich verdammte meine falsche Faszination zum Schweigen, senkte meinen Blick und murmelte unverständlich ein Gebet. Dann umfasste ich nach dem eisernen Türgriff und ließ ihn kräftig gegen das Holz krachen. Die Pforte antwortete mit einem mürrischen Knurren, öffnete sich langsam und es erschien eine windschiefe Kreatur mit aufgeblasenen Backen. »Da sind Sie ja«, quakte sie heiser. Zögernd trat ich ein und stand inmitten einer riesigen Eingangshalle, die nur spärlich möbliert war. Von manchen Gegenständen war nicht einmal das weiße Laken entfernt worden. »Dort hinüber«, wies der Mann mich an. Er leuchtete mir mit der Fackel, die er in seiner runzeligen Hand hielt, den Weg durch eine schmale Tür, die in den Keller führte. Meine Kutte schleifte leise über den Boden und sammelte dunkelgraue Wuckeltiere auf, während ich ihm in die Finsternis folgte. »Lassen Sie Ihren Augen Zeit, sich an die Dunkelheit zu gewöhnen«, empfahl er mir spöttisch, als ich über mein Gewand stolpernd beinahe die Treppe hinunter gefallen wäre. Während ich mich vorsichtig an der Wand abstützte, fragte er: »Haben Sie Ihre Sachen mit?« »Meine Sachen?« »Na dieses Weihrauchkreuzzeugs, das ihr Pfaffen immer mit euch herumschleppt« »Wie bitte?« Er blieb stehen und seine schwarzen Augen funkelten mich genervt an. »Herrgott, was glauben Sie eigentlich, wofür man einen katholischen Priester ruft?« Ich starrte ihn entsetzt an. »Sie verlangen doch nicht von mir…aber das ist…« »Sind Sie ein Priester oder nicht?« »Ja schon, aber…« »Na bitte, dann sind Sie hier richtig.« »Aber was…«, ich hielt inne, der Raum, in dem wir uns nun befanden, war in Kerzenlicht getaucht. In einer Ecke stand eine Statue, eine verschleierte Frau mit nur einem Arm. Von der Decke hingen alte Fleischerhaken. In der Mitte lag ein junges Mädchen, dessen dunkles Haar liebevoll das schlummernde Gesicht umarmte, Arme und Beine waren weit von ihm gestreckt. Es trug ein weißes Kleid, das bis zu den Fußspitzen reichte.
Ich ging in die Hocke und nahm seine Hand. Sie war eiskalt. »Tut mir leid, aber an Toten kann ich keinen Exorzismus durchführen«, sagte ich und wischte mir Schweißperlen von der Stirn. »Einen WAS?«, wiederholte er ungläubig. »Das bedeutet die Austreibung von …« »…Dämonen, ja ich weiß«, fauchte er sichtlich entrüstet. »Wie kommen Sie darauf, dass ich Sie meine Tochter schänden lasse?« Die Kröte schniefte, dicke Tränen rollten über die Wangen und glitzerten im Kerzenlicht. »Aber was soll ich dann hier?« »Was Sie hier sollen? Sie sollen sie wieder lebendig machen!« »Das kann ich nicht!« »Ihr Christus konnte über Wasser laufen. Den können Sie fragen, wie man Tote wieder zum Leben erweckt!« Der Kerl war verrückt geworden. »Tun Sie was!«, kreischte er hysterisch los und fuchtelte mir mit der Fackel vor dem Gesicht herum. »Tun Sie was oder ich verbrenne Sie bei lebendigem Leibe!« Ich wich zurück, als er sich auf mich stürzte. Mir blieb nichts anderes übrig, ich packte das Mädchen und hielt es schützend vor mich. Plötzlich begann sie zu röcheln und zu husten. Ich ließ sie mit einem Schrei fallen und kroch rückwärts von ihr weg. »Sie ist ja gar nicht tot!«, rief ich der Kröte entgegen. Diese starrte genauso fassungslos auf das Mädchen wie ich. »Sie kkkönnen tatsächlich Tttote erwecken«, stotterte er, die Fackel fiel ihm aus der Hand und zischend auf den Boden. »Papa!«, flüsterte das Mädchen erschrocken und starrte auf die am Boden liegende Fackel, die langsam auf sie zurollte. Dann ging ihr weißes Kleid in Flammen auf.
Text: Susanne Pritscher
Diese Geschichte ist in der Glauben-Ausgabe erschienen.