La vie en rose?
Keine Bleibe, kein Telefon, kein Bankkonto, kein Internet und Uni schon ab Anfang September – voilà! Unter diesen glücklichen Umständen begann für mich und meine Mitbewohnerinnen (endlich kann ich sie auch getrost so nennen!) unser Auslandsaufenthalt in Clermont-Ferrand in Frankreich.
Dabei hatte ich mir das viel besser vorgestellt: etwas mehr la vie en rose-mäßig! Rosige Umstände sehen aber irgendwie anders aus. Von einem Leben »wie Gott in Frankreich« konnten wir am Anfang nur träumen und hinter der Aussicht auf zwei Semester in dem beschaulichen Städtchen stand noch ein großes Fragezeichen. Denn wir drei waren die einzigen von allen mutigen Teilnehmern aus dem Studiengang Deutsch-Französische Studien, die bei ihrer Ankunft noch keine Wohnung hatten.
Deshalb hieß es für uns in den ersten Tagen, Agenturen abklappern und erst einmal Ruhe bewahren. So einfach wie man sich es vorstellt, ist in Frankreich nämlich erst einmal nichts. Wir begriffen schnell, dass wir in einem üblen Teufelskreis feststeckten: ohne Adresse kein Bankkonto und ohne Bankkonto keine Wohnung. Doch das Schicksal meinte es gut mit uns und so hatten wir nach gut einer Woche und unzähligen Besuchen in unserer Lieblings-Immobilienagentur eine nette Wohnung, keine fünf Minuten von der Uni entfernt. Allerdings: Ruhe war deswegen noch lange nicht eingekehrt. Wir hatten noch keine Möbel, kein Telefon, Internet, alles was man als Student unmöglich entbehren kann. (Mein persönliches Highlight war wohl der Vertrag mit unserem Gasanbieter, den ich am Telefon abschließen durfte!) Mit ein wenig Abstand kann man schon wieder darüber schmunzeln, aber am Anfang lagen die Nerven bei uns allen blank.
Genauso ging es uns mit der neuen Uni und den französischen System-Eigenheiten, mit denen man sich während der Wohnungssuche auch noch anfreunden musste. Alle, die mit Frankreichs Universitäten ein wenig vertraut sind, werden wissen, wovon ich spreche. Jegliche Selbstständigkeit und jegliches Erwachsen-Sein, das man in Regensburg gewonnen hatte, wird einem mit einem Mal wieder genommen und man fühlt sich in seine eigene Schulzeit zurückversetzt. Hausaufgaben und Gruppenarbeit stehen hier an der Tagesordnung. Von den 26 Wochenstunden – letztes Semester in Regensburg hatte ich halb so viele – ganz zu schweigen. Mais c’est la vie – und obwohl man es anfangs nicht erwartet, gewöhnt man sich auch daran (was nicht heißen soll, dass ich mich nicht schon jetzt wieder auf die Uni in Regensburg freue) und akzeptiert, dass man viele Stunden in der Uni absitzen und seine Arbeitsweise radikal ändern muss.
Doch nicht dass ihr glaubt, ich fühle mich hier nicht wohl: Mich hat unser Nachbarland ganz für sich gewonnen. Dieses typische Flair, die gelassene Art der Franzosen, alles läuft hier einfach à la française, man geht die Dinge eben etwas gemütlicher an und, mal ehrlich, wer braucht schon so etwas wie Organisation und Ordnung? All die aufregenden Dinge, die wir hier schon erlebt haben, kann uns keiner mehr nehmen und wir werden uns ein Leben lang daran erinnern: Ausflüge in den Süden, an den Atlantik, nach Paris, Wander- und Partytouren, das gute Essen und die Freundschaften, die man schließt.
Heute kann ich sagen, dass wir mit den ganzen Herausforderungen zu Beginn sicherlich nicht gerechnet haben. Trotzdem haben wir nie aufgegeben und sind umso stolzer, das alles geschafft zu haben. Und sollte ein Auslandssemester nicht genau das bewirken, selbstständiger zu werden, über sich hinaus zu wachsen, seinen Horizont zu erweitern? Neben den für Studenten essentiellen Dingen, wie Leute und die neue Umgebung samt ihrem Nachtleben kennen zu lernen, natürlich. Meine Zeit in Clermont werde ich weiterhin in vollen Zügen genießen – denn mittlerweile bin ich dann doch überzeugt: C’est la vie en rose!
Text: Andrea Morgenstern