Welchen Virus hätten’s denn gern?
Wer erinnert sich nicht mehr an BSE? Über zehn Jahre ist es her, dass der Rinderwahn uns befiel. Ach, das waren noch Zeiten!
Damals war es eine richtige Sensation, dass eine solch ominöse Krankheit vom Tier auf den Menschen hüpfen sollte und zwar durch Verzehr des Ersteren. Vorher kannte man vielleicht Salmonellen, aber die bewirkten im Normalfall lediglich eine unangenehme Beschleunigung des Verdauungsvorgangs. Nun aber drohte von allen Seiten das potenziell todbringende Fleisch, nicht mal mehr dem Metzger um die Ecke konnte man trauen. »Ist da BSE drin?«, fragte eine ältere Dame lakonisch an der Fleischtheke, woraufhin ihr die Verkäuferin beteuerte, das Fleisch sei absolut sicher. Selbige Aussage hatte man schon zur Genüge von Politikern gehört und so musste es ja stimmen. Die alte Dame kaufte beruhigt ihr Rinderhack, welches ihr zu ihrem großen Glück gut zu bekommen schien, denn eine Woche später sah ich sie wieder im Supermarkt. Andere waren da weitaus vorsichtiger und bestellten sich bei McDonalds nur noch Chicken. Selbst beim Anblick der Milka-Kuh packte manchen das kalte Grausen. Letztendlich blieb der Rinderwahn aber das Problem der Briten, wenngleich er in Deutschland sämtliche Medien infizierte. Man konnte aber auch zu gut darüber spekulieren, sich zu gut darüber auslassen! Sogar ihren eigenen Handyklingelton hatte die BSE-Kuh.
Als man sich an diesem Thema dann sattgehört hatte, als es aus der Welt war, weil nicht mehr darüber berichtet wurde, trat plötzlich die Maul- und Klauenseuche auf die Bühne und schränkte unseren Speiseplan weiter ein. Ein paar Jahre später brachte die Vogelgrippe, auch bekannt unter dem spektakuläreren Namen H5N1, Abwechslung – also auch nix mehr mit Chicken. Man konnte das gerade noch so verkraften, weil man sowieso längst wieder Cheeseburger aß. Aber sicher fühlte man sich in diesem neuen Pestzeitalter längst nicht mehr. Nach einer weiteren Schonfrist brach dann die Schweinegrippe aus – Moment mal, Schwein, das hatten wir doch schon? Richtig, mit dem Sonntagsbraten hatte diese Seuche eigentlich gar nichts zu tun, vielmehr infizierte man sich direkt bei seinem Mitmenschen, und den konnte man auf Dauer kaum meiden, auch wenn man es zum eigenen Wohl vielleicht gern getan hätte. Andererseits brauchte man ja auch jemanden, um sich über die eigenen Sorgen und Ängste bis ins Detail auszutauschen. Jedenfalls war diesmal erst recht Panik angebracht, erfuhr man ja auch regelmäßig von neuen (deutschen!) Todesfällen. Man wollte sich ja impfen lassen, um sich nicht der Gefahr schutzlos auszuliefern, aber dann ging auch noch der Impfstoff zur Neige! Nein, das war schon was ganz anderes als die stinknormale Grippe. Einen positiven Nebeneffekt hatte die neue Grippe aber auch: Endlich bekam man mal beigebracht, wie man sich richtig die Hände wäscht!
Da man sich unter Grippe zu viel vorstellen konnte, war bald klar, dass wieder eine geheimnisvollere Krankheit her musste, eine Krankheit, die man, wie die meisten ihrer Vorgänger, im wahrsten Sinne des Wortes großschrieb: EHEC. EHEC bereitete zudem endlich der Diskriminierung von Vegetariern ein Ende. Auch diese haben schließlich ein Recht, ihre Essgewohnheiten für begrenzte Zeiträume umzustellen. Man konnte nie wissen, ob auf dem nächsten Salatkopf oder der nächsten Gurke der Erreger lauerte. Vorsorglich übte man sich lieber in Askese und entsagte jeder erdenklichen Rohkost. Ehe man vom Siechtum dahingerafft wurde, ernährte man sich lieber ungesund. Zur allgemeinen Enttäuschung stellte sich aber heraus, dass die Bedrohung von einem Lebensmittel ausging, auf dass man ohnehin gut verzichten konnte.
Auch diese aufregende Zeit ist inzwischen Geschichte. Im Moment ist in den Medien mal wieder nichts geboten außer so langweiligen Themen wie Politik oder Wirtschaft. Gespannt warten wir ab, welche Epidemie uns als Nächstes den nötigen Nervenkitzel bescheren wird.
Text: Lucia Mederer